Geldgespräche

Wie viel Geld hast du auf dem Konto? Beim gemeinsamen Essen erzählen mir Marc und Sonia von diesem spanischen Journalisten, der all seinen Interviewgästen diese Frage stellt. Interessant, denke ich mir.

Ich stelle die Frage an alle in der Runde und sie antworten tatsächlich. Es fühlt sich richtig aufregend an, darüber zu sprechen. Warum machen wir so ein Geheimnis aus dem, was wir verdienen?

Und glauben wir eigentlich selbst, dass wir verdienen, was wir verdienen? Sind wir den Preis wert, den Arbeitgeber oder Kunden für unsere Arbeit bezahlen? Und ist das, was wir tun, ohne bezahlt zu werden, dann nichts wert?

Mich beschäftigt diese Frage sehr. Ich liebe es, in Cafés, Bars und Restaurants zu essen und zu trinken, ich liebe das Reisen, ich liebe es, mir etwas zu gönnen, wie neulich auf dem Flohmarkt, wo ich völlig ausgerastet bin und in einen absoluten Kaufrausch verfiel und Geld ausgab, das ich noch gar nicht eingenommen hatte.

Danach kamen wieder Schuldgefühle und Existenzängste. Zugleich freue ich mich immer noch sehr über die schönen Dinge vom Flohmarkt – ausgefallene Kleidungsstücke für 3 bis 10 Euro, eine Zeichnung von einer Straßenkünstlerin, die mich berührt hat, eine Handtasche, Schmuck für meine Freundin Emilie und mich. Es war ein herrlicher Tag und der Markt an einem meiner Lieblingsplätze in Palma voller üppiger Palmen und hoher Bäume umgeben von alten schönen Gebäuden, die zum Teil noch nicht renoviert sind und dadurch besonderen Charm ausstrahlen.

Mein Konto strahlt weniger Charme aus. Steuern wurden abgebucht, die Rentenzahlung, die nur zweimal im Jahr kommt, Sozialversicherung, eine Spende an eine Suppenküche, ein paar Minispenden an alternative Medienprojekte und die Democracy-App … meine Miete habe ich bis heute noch nicht bezahlt, obwohl schon der neunte ist. Noch ein Vorteil von der WG. Ich zahle die Miete an eine meiner Mitbewohnerinnen, die sie schon längst beglichen hat.

Dann habe ich noch Flüge und Zugtickets gebucht, um Freunde zu besuchen, meine Familie zu Weihnachten zu sehen und Marc zum Geburtstag eine Freude zu machen. Unsere erste gemeinsame Reise. Es geht nach Madrid zu einer Freundin, die vor einem Jahr von Mallorca wegzog.

Dort müsste ich eigentlich sparen. Ich kenne uns aber. Wir werden sicher wieder viel in Bars und Restaurants gehen. Wir wollen Ausstellungen besuchen und Flohmärkte gibt es in Madrid auch. Ich kenne mich: Ich werde wieder Geld ausgeben, das ich noch nicht eingenommen habe.

Dann kommen weitere Schuldgefühle, weitere Existenzängste. Bis zu dem Punkt, wo unerwartet wieder ein großer Übersetzungsauftrag reinkommt, der das Geld bringt, das ich brauche. Oder ich verkaufe ein Bild. So geschah es in der Vergangenheit immer. Ich gebe Geld aus und es kommt irgendwoher wieder rein, sodass ich keine Schulden habe. Keine Kredite. Aber auch keine Rücklagen.

Nun wollte ich vernünftig sein und meine monatlichen Fixkosten – hauptsächlich für Miete (ungefähr 750 Euro mit Wasser und Strom), Telefon und Internet (ungefähr 50 Euro), Benzin (ungefähr 100 bis 150 Euro), Sozialversicherung (ungefähr 300 Euro) und Co-Working-Büro (ungefähr 200 Euro) reduzieren, die ich dank meinen Redakteurstätigkeiten bezahlen kann. Also kündigte ich das Co-Working-Büro.

Zu meiner Überraschung rief Juan, dem es gehört und den ich seit einigen Jahren kenne, mich an und sagte, dass sie mich sehr gern im Büro sehen und wir eine Lösung finden müssen, wie ich weiterhin kommen kann. Er wollte schon lange ein Bild von mir kaufen – das hatte er tatsächlich schon im Mai bei der Eröffnung meiner Ausstellung in Binissalem gesagt –, also könnten wir doch ein Tauschgeschäft machen, bis ich wieder genug Geld habe. Er sagte auch, er wisse, dass ich gut verdiene, und eigentlich alles bezahlen können müsste, was ich möchte. Juan hat sich viel mit dem Umgang mit Geld auseinandergesetzt, Bücher gelesen, Kurse belegt und er will mich coachen, meine Konten mit mir durchgehen, sodass ich ab jetzt nicht nur alles bezahlen kann, sondern auch keine Schuldgefühle und Existenzängste mehr haben brauche.

Ich bin total gerührt, dass er sich die Zeit nimmt. Und ich bin erleichtert, dass wir so natürlich über Geld sprechen, ich ihm meine Konten zeigen kann. Das Thema Geld kommt in letzter Zeit immer wieder. Es ist so von Scham und Schuld behaftet. Genau wie die Sexualität.

Menschen schämen sich, weil sie zu viel oder zu wenig Geld verdienen. Andere identifizieren sich mit ihrem Verdienst und fühlen sich, wenn vielleicht auch unbewusst, höherwertiger als andere Menschen. Wenn ich ehrlich bin, geht es auch mir so.

Ich fühle mich aufrechter, würdevoller, stärker wenn ich Geld verdiene. Als Selbstständige fühle ich mich gerade nach einer Phase mit wenig Aufträgen extrem dankbar für Arbeit und Geld und das schöne, angenehme Leben, das ich mir damit gönne. Und zugleich mischt sich auch immer etwas Schuld darunter. Ich gehöre zur Mittelschicht und merke in meinem Umfeld, welche Unterschiede es allein innerhalb dieser groben Einkommensklasse gibt.

Wie ist es dann bei den Menschen, die nicht genug Geld haben, um ein würdevolles Leben zu führen? Da haben wir ein Stichwort: Was macht Geld mit unserer Würde? Würde es uns erleichtern, wenn wir offener darüber sprechen? Oder würde es eine Welle des Neids und von Konflikten auslösen?

Wenn ich mich ehrlich frage, bin ich auf niemanden neidisch. Ich würde gern noch mehr Geld verdienen und vor allem würde ich es gern fürs Schreiben und Malen von Texten und Bildern verdienen, die mir Freude bereiten. Und da kommt das nächste: Wie fühlt es sich an, Geld für eine Tätigkeit zu nehmen, die wir gern tun? Ist das auch Arbeit?

Als Schülerin und Studentin und am Anfang meiner Selbstständigkeit als Übersetzerin arbeitete ich für 5 bis 6 Euro pro Stunde. Inzwischen verdiene ich mit Übersetzungen zwischen 50 und 100 Euro pro Stunde, je nachdem, wie gut ich das Thema und somit das Vokabular kenne. Ich wurde mit den Jahren immer schneller. Als Selbstständige gehen die Profite, die ich durch mehr Effizienz und Erfahrung erziele, direkt zu mir. Der Kunde bezahlt für das Ergebnis, nicht die Zeit. Zumindest bei den Übersetzungen.

Zwei meiner Exfreunde arbeiteten als Gärtner und Weinbauer und erhielten dafür ungefähr 8 Euro pro Stunde, für körperlich harte Arbeit. Ich saß zuhause im Warmen oder Kühlen (je nach Jahreszeit) und verdiente in einer Stunde so viel wie sie am ganzen Tag. Dafür schämte ich mich.

Es kommt also darauf an, mit wem wir uns vergleichen. Wenn wir eine gerechte Gesellschaft wollen, müssten wir uns diese Dinge dann nicht einmal genau ansehen? Mit unserem engen Umfeld darüber sprechen, was sie verdienen, die Scham aushalten, den Stolz beobachten und hinterfragen?

Ich finde es schön, dass nicht alle das gleiche verdienen und es Unterschiede gibt. Doch sie könnten gerechter verteilt sein. Wir können das jetzt nicht so einfach ändern. Am Ende ist es wieder einmal die gute alte Innenschau, die uns weiterbringen kann.

Bevor wir uns über reiche Menschen aufregen, arme Menschen bevormunden und unbewusst abwerten, können wir unsere eigene Beziehung zum Geld anschauen, beobachten, wie sie unsere Identität und unser Verhalten beeinflusst.

Holen wir das Tabu unter dem Teppich hervor und stürzen wir uns ins Abenteuer Geldgespräche. Ich werde das Thema von nun an vielleicht öfter in einem Freewriting beleuchten. Und ich bin gespannt, wie es wird, Juan meine Konten zu zeigen und mit ihm einen neuen Umgang mit Geld zu lernen.

Geld verkörpert also sehr viele Gefühle: Selbstwert, Stolz, Schuld, Scham, Würde, Dankbarkeit, Freude … Geld und unser Geldsystem spiegeln unser Innenleben wider. Schon wieder das Innenleben. Wir kommen einfach nicht drumherum. Am Ende schwimmen wir immer wieder in unserer Traumasuppe. Vielleicht kochen wir sie ab jetzt bewusster und lassen die Zutat „Trauma“ weg?