So habe ich mir den Sommer nicht vorgestellt.
Die Hitze macht mich fertig, meine Gedanken drehen sich im Kreis und ich fühle, wie ich kurz davor bin, in einen seelischen Abwärtsstrudel zu geraten.
Ich zwinge mich, aufzustehen. Trotz Hitze. Nur ein paar Meter.
Bis zum Bücherregal. Ich brauche Ablenkung. Eine beflügelnde Ablenkung. Eine, die mich nicht berieselt und noch passiver macht. Meine Augen scannen die Titel der Bücher, die ich noch nicht gelesen habe.
Habe mir vor ein paar Monaten einen Vorrat angelegt. Für Situationen wie diese.
Ein blauer Buchrücken springt mir ins Auge. „Oberkante Unterlippe“. Keine Ahnung, warum ich mir dieses Buch gekauft habe? Ich ziehe es aus dem Regal und lese die Rückseite. Die Geschichte haut mich nicht vom Hocker. Ein Mann, der von Frau und Kind verlassen wird.
Ich lese weiter. Ein Kommentar vom Kölner Stadt-Anzeiger: „Stefan Schwarz schreibt wunderbar trocken. Seine Sprache ist stilvoll, aber zugleich so leicht zugänglich, dass es den Leser schon auf der ersten Seite mitten in die Geschichte zieht.“
Ich erinnere mich, warum ich dieses Buch kaufte. Als Recherche. Um mich zu inspirieren und mir so einen Schreibstil anzueignen.
Ich gehe zurück ins Bett. Richte den Ventilator optimal auf mich aus. Beginne zu lesen.
Und höre erst auf, als mir am nächsten Morgen um drei Uhr die Augen zufallen. Gleich nach dem Frühstück lese ich das Buch zu Ende. Es ist um mich geschehen.
Stefan Schwarz ist mein neuer Held. Mein neues Vorbild.
Die Hitze ist noch da. Meine Schlappheit hingegen hat sich in Luft aufgelöst. Ich muss diesen Mann ausfindig machen. Ihm Danke sagen, ihm schreiben, wie sehr ich ihn bewundere. Vielleicht gibt er mir sogar ein Interview?
Ich pflanze mich vor den PC und beginne ihn zu googlen. Er lebt in Leipzig, wo ich zwei Jahre studierte, gleich um die Ecke von meiner Heimatstadt. Ist auch aus der DDR, die mich zwar nicht so geprägt hat wie ihn, aber eben doch genug, um dadurch ein gewisses Gefühl der Verbundenheit in mir auszulösen.
Ich sehe mir Videos auf Youtube mit ihm an. Er wirkt irgendwie ganz normal. Aus dem echten Leben. Im echten Leben.
Und wie ein echter moderner Mensch hat auch er eine Facebook-Seite. Ich versuche mein Glück und schicke ihm eine Nachricht.
Er schreibt zurück. Sogar mit einer spanischen Anrede. Ich kann mein Glück kaum fassen. Ich darf mein frisch auserkorenes Vorbild fragen, wie sein Leben als erfolgreicher Schriftsteller – also mein Traumleben – in Wirklichkeit aussieht.
Lieber Herr Schwarz,
haben Sie einst davon geträumt Schriftsteller zu werden oder sind Sie durch Fügung zum Schreiben gekommen?
Nein, ich wollte kein Schriftsteller werden. Ehrlich gesagt, war mir das zu langweilig.
Ich kannte zwei, drei Schriftsteller in meiner Heimatstadt Schwerin und das waren graue, in sich gekehrte Gestalten, die alle zehn Jahre mal ein Buch machten. Oder auch gar keins. Einer von denen trug sich Zeit meiner Kindheit nur mit dem Vorhaben, ein Buch zu schreiben, und verbrachte endlose Studienaufenthalte in DDR-Schriftstellerheimen.
Es war sehr trostlos.
Aber ich habe gerne geschrieben. Auch schon Geschichten. Meine Mutter erzählte dauernd Geschichten, denn Geschichten sind ja auch ein bisschen Trauma-Therapie.
Sie haben einen Anfang und ein Ende und es geht in Geschichten geordneter zu als im wirklichen Leben, wo alles durcheinander und nebeneinander passiert. Geschichten räumen das Leben auf.
Meine Mutter verlor mit sechs Jahren ihren Vater, der vor ihren Augen ertrank, und das konnte sie nur verarbeiten, in dem sie diesen Schrecken (ich glaube, sie liebte ihn etwas mehr als ihre Mutter) zu einer Erzählung machte, in der die kleinen Lücken verraten, wo es ihr weh tat.
Nein, ich wollte für die DDR-Auslandsaufklärung arbeiten (mein Vater war General der Staatssicherheit). Das fand ich spannend.
In meinem Elternhaus saßen ja hin und wieder echte Top-Spione auf der Couch, Leute, die – um es mal in einem Bild zusammenzufassen – nicht „Geschichten“, sondern Geschichte geschrieben hatten. Da fiel die Wahl zwischen Buch oder Leben nicht schwer.
Mit der Wende und der deutschen Einheit hatte sich diese Perspektive dann erledigt und ich machte erstmal das, was ich studiert hatte: Journalismus.
Daraus erwuchs dann nach und nach über Kolumnen und Glossen und Kurzgeschichten so eine Art literarische Betätigung. Ich habe, ehrlich gesagt, lange gezögert, Schriftsteller zu werden.
Ich habe ja eine Familie zu ernähren und wenn man als Journalist einen schlechten Beitrag macht, macht man nächste Woche eben einen besseren. Bei der Schriftstellerei geht es aber immer um Jahre. Und wir sind hier nicht mehr im DDR-Schriftstellerheim.
Zwei laue Bücher und es wird wirtschaftlich „herausfordernd“. Aber zusammengefasst bin ich ein glücklicher Mensch.
Ich mache das, was ich mag und was ich kann, und mache damit Menschen ein paar schöne Stunden, wie ich mittlerweile weiß. Und: Ich kann Mittagsschlaf machen.
Hat das Schreiben Ihr Leben verändert?
Klares Ja. Man lernt sich beim Schreiben ziemlich gut kennen.
Man wiederholt spätestens nach drei, vier Büchern dann doch Motive und Stilistiken. Und das bedeutet etwas sehr Irritierendes: Man wird sich selber etwas langweilig oder schlimmer noch- unangenehm.
Aber das sind die coolen Momente, weil man dann erkennt, wer man ist und wer man besser sein sollte. Ganz ohne Psychotherapeut.
Zum Zweiten bin ich ein lesender Schriftsteller. Ich habe viel Publikumskontakt. Ich mag mein Publikum. Wir haben dasselbe Alter und wissen, worum es geht.
Ich mache mich über die Ambitionen, Tücken und Fallen der Partnerschaft lustig und alle lachen, weil es ihnen genauso geht. Schreiben ist sehr einsam und Vorlesen vergemeinschaftet mich dann wieder mit der Welt. Ich liebe das.
Auf meinem Blog schreibe ich über das Finden von Erfüllung im Alltag. Wie sieht Ihr Alltag als Schriftsteller aus?
Ich frühstücke, lerne vergeblich irgendeine Sprache, lese das Internet durch und schreibe nichts.
Nach drei Tagen bin ich so verzweifelt, dass ich irgendwas schreibe. Das verbessere ich am nächsten Tag und dann habe ich ein, zwei Seiten geschafft. Freue mich und fange wieder an, Sprachen zu lernen. Usw.
Was bedeutet es für Sie, glücklich zu sein?
Ich bin sehr einfach glücklich zu machen.
Mir reicht es, wenn kein Krieg ist und meine Kinder gesund aufwachsen. Glück darf man nicht suchen, sonst findet man es nicht. Das „Streben“ (schon das Wort sollte einen aufhorchen lassen) nach Glück produziert zuverlässig Unglück.
Wir überfordern permanent uns selbst und unsere Partner mit unseren ausgedachten Ansprüchen. Wer glücklich sein will, soll lernen, wie man ein Brot backt oder so etwas.
Es gibt beim Brotbacken wie in der Partnerschaft günstige Zeiten und kleine Tricks und dann eben auch perfekte Momente. Wir leben in einer so reichen Welt, dass noch der ärmste Schlucker glücklich sein müsste.
Ich verstehe Unglück jenseits von Krieg und Krankheit nicht.
Ich träume von dem, was Sie bereits leben. Wovon träumt ein Mensch, der bereits erfolgreicher Schriftsteller ist?
Siehe Brotbacken. Ich träume davon, das sagen zu können, was ich sagen will. (Manchmal, eigentlich oft, will ich auch nichts sagen.) Ein schlechter Schriftsteller fühlt ungenau und packt unverstandene Gefühle in abgenutzte Bilder. Ein erfolgloser Schriftsteller fühlt genau und packt verstandene Gefühle in für andere unverständliche Bilder. Beides will ich nicht.
Wenn ich also manchmal präzise, erhellend und witzig bin, dann geht es mir gut. Dazu muss man viel Ohnmacht vor leeren Seiten aushalten. Aber wenn es klappt, fühlt es sich an, als wenn eine fremde Macht einem die Finger geführt hätte.
Es gibt diesen komischen Moment, wo man über eine Formulierung oder einen Witz selber staunen oder lachen muss. Das ist strange. Und traumhaft.
Ich habe das bescheidene Projekt, die Welt zu verändern, indem ich Menschen zu einem liebevolleren Umgang mit sich selbst inspiriere. Wenn ein Mensch netter zu sich selbst ist, ist er es automatisch auch zu anderen. So die Grundidee.
Sie schreiben Bücher über Beziehungen zwischen Partnern, Eltern und Kindern. Könnten Sie sich vorstellen ein lustiges Buch über die Beziehung eines Menschen zu sich selbst zu schreiben?
Unglücklich sein ist nur eine Perspektive zu haben, sagt Alain de Botton. Ich finde es, wie oben angedeutet, sehr lustig, wenn man sich mit anderen Augen sehen kann. Dazu eignen sich übrigens Partner hervorragend.
Man trennt sich nie von einem Partner, man trennt sich von einer Art und Weise, gesehen zu werden. In einsamer Introspektion geht das nur sehr schwer. Wenn wir allein sind, sind wir nicht allein.
Wir sind allein mit den Gespenstern aller Meinungen, die jemals jemand über uns hatte. Aber man kann diese Einsamkeit nutzen, um die Gespenster zu bändigen.
Also ja, ich könnte mir eine Robinsonade vorstellen, wo jemand sich selbst auf die Nerven geht oder sogar sich selbst begeistert.
Wie fühlen Sie sich, wenn Sie sich im Spiegel sehen? Ihren Gedanken lauschen? Sich auf Videos sehen? Wie ist Ihre Beziehung zu Ihnen selbst?
Ich sehe einen Mann, der viel Sport treibt, aber zu viele Kekse isst.
Ich sehe den Mann, mit dem meine Frau gerne schläft.
Das überzeugt mich, obschon ich sonst Kritik äußern würde.
Ich für meinen Teil kann diesem Mann gegenüber keine Kritik äußern. Er schafft es, mich aus meinen kleinen Tiefs zu heben und zu beflügeln, spornt mich an und inspiriert mich. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.
Wenn du dich auch von ihm inspirieren lassen möchtest, empfehle ich dir, seine Bücher zu lesen.
Ich lese gerade mein zweites Buch von ihm „Hüftkreisen mit Nancy“ und bin genauso begeistert wie von „Oberkante Unterlippe“.
Gönn dir Lebensweisheit lecker verpackt in Humor und Leichtigkeit.
Sei es dir wert.