Liebe Freiheit Ventilator

Die Vögel zwitschern sich dumm und dämlich, die Sonne strahlt selbstzufrieden vom klaren Himmel herab, die Katzen dösen in der Ventilatorluft und ich weiß nichts mit mir anzufangen. Das eklige Gefühl der Ablehnung kommt in Schüben. Zwei Tage lang kann ich den Sommer genießen, frohen Herzens mit Menschen ein Bier trinken und ins Meer springen, genüsslich im Schatten der Bäume Bücher lesen und plötzlich ist es wieder da. Ich spüre es schon, bevor ich überhaupt die Augen öffne.

All die Weisheiten und das Wissen über die Liebe und unser Ego ändern nichts an der Tatsache, dass es sich kacke anfühlt. Ich fühle mich jedes Mal aufs Neue dumm, geglaubt zu haben, dass ich durch mein Streben nach Erkenntnis die unangenehmen Gefühle umgehen kann. Jetzt, wo ich es aufschreibe, fühlt es sich direkt leichter an. Dann möchte ich schon fast wieder liebevoll über mich schmunzeln. Aber nur fast. Meine Lippen sitzen reglos in meinem Gesicht und finden das gar nicht lustig.

Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Dieser Buchtitel von Richard David Precht geht mir seit damals, als ich das Buch bei der Kubareise mit Oliver las, nicht mehr aus dem Kopf. Wie viele „Ichs“ oder Anteile sind da eigentlich in mir? Wenn unser Innenleben schon so komplex ist, wie kommen andere Menschen dann darauf, wir könnten auch nur einen Schimmer davon haben, wie die Außenwelt ist?

Das Leben ist so erschreckend und beruhigend gleichgültig unserem Empfinden gegenüber. Es überlässt uns völlig uns selbst. Und warum schreibe ich das alles? Weil ich wieder einmal versuche, meine toxischen Gedanken an A.K. und unsere Trennung zu überwinden. Vorgestern las ich mein Tagebuch von diesem Jahr und stellte konsterniert fest, dass meine Gedanken sich nur um diesen Mann und unsere Beziehung drehen. Das ist doch krank. Wenn es mir gut geht und ich mich um andere Themen kümmere, schreibe ich aber auch kein Tagebuch.

Früher habe ich selbst im Tagebuch oft über die Gesellschaft und die Eliten und so weiter geschrieben, weil sie meine Gedanken bevölkerten. Dann kam M. und nun A.K. Womit sollen sie sich auch sonst beschäftigen. Ich gebe ihnen ja schon Futter, indem ich wieder studiere und diese ganzen Bücher lese, aber nichts interessiert sie so sehr, wie romantische Dramen um mein Ego herum.

Wobei ich da nun vielleicht wieder sehr streng mit mir bin. Verlassen zu werden ist nicht nur für das Ego verletzend. Es wird schon alte Wunden und Ängste triggern. Doch mein schlauer Verstand weiß ja auch, dass mich das nicht umbringt. Es ist eben einfach nur unangenehm und ich kann nichts dagegen tun.

Gerade ist er noch in Italien. In der Stadt, wo auch sie wohnt. Die Frau, wegen der er sich während unserer Beziehung schuldig fühlte. Ob er sich nun auch schuldig fühlt? Ob er an mich denkt, während er sie trifft und vielleicht eine Liebesgeschichte mit ihr beginnt? Ob er ihr dann auch sagt, dass er an mich denkt? Es nervt mich, dass mich das überhaupt interessiert.

Was brauche ich nun? Mal abgesehen von Zeit? Mein Alltag ist paradiesisch. Im Außen könnte ich mich nicht besser um mich kümmern. Doch in meiner Innenwelt ist es finster wie eh und je. Ich erkenne nicht, was ich brauche. Oder vielleicht doch. Vielleicht liege oder sitze ich deshalb einfach öfter lustlos irgendwo im Schatten und starre Löcher in die Luft. Versuche dann immer, mich eine Weile auf den Atem zu konzentrieren. Das gelingt dann mal zwei Sekunden und schon lasse ich mich wieder von meinen Gedanken mit nach Italien nehmen zu A.K. und seinem Schwarm … oder was auch immer.

Ich will nicht verbittert sein. Ich will nicht kleingeistig sein. Ich will nicht bedürftig und anhänglich sein. Ich will einfach nur in mir ruhen, trotz verletztem Stolz und der kindlichen Illusion einer romantischen, ewigen Liebe ein offenes Herz bewahren, sowohl für A.K., als auch die andere Frau, und natürlich neue Menschen, die mir begegnen. Doch danach ist mir noch nicht. Ich möchte auch wütend sein dürfen und zickig und verletzt und ungerecht. Meine Ansprüche an mich selbst … sie stehen mir im Weg. Ich kann sie nicht erfüllen.

Sie lähmen mich sogar. Sowohl die Ansprüche, wie ich als liebevolle und zugleich starke, selbstbestimmte Frau sein möchte, als auch meine Ansprüche an zukünftige Texte und Bilder, die ich erschaffen möchte und dann nie mache, weil ich es mir nicht zutraue. Und dann schäme ich mich vor mir selbst, dass ich solche Ansprüche habe, wenn ich noch nicht einmal in der Lage bin, einfach anzufangen.

So. Und dann schlittere ich in diese Selbstmitleidschleife. Dabei hilft wohl das freie Schreiben ohne Ansprüche, um es zu erkennen. Dass ich sehr wohl anfange. Ich schreibe und male immerhin ab und zu. Warum sollte das nicht reichen? Weil ich gar nicht den Drang verspüre eine große Malerin oder Schriftstellerin zu werden?

Was bin ich wert, wenn ich keinen Partner habe, der gern sein Leben mit mir teilen möchte, keine Kinder geboren habe, die meine Fürsorge brauchen, keine große Künstlerin oder Autorin bin, die die Welt ein Stück besser macht? Ist das mein Problem? Höre ich auf zu existieren, wenn ich einfach ein stinknormaler Mensch unter vielen bin? Ist es nicht das, was ich mir wünsche? Dazuzugehören?

Vielleicht kam meine Einsamkeit aus diesem Anspruch, etwas Besonderes sein oder erschaffen zu müssen? Weil ich irgendwie glaubte, irgendetwas besser können zu müssen als alle anderen. Schöner sein zu müssen, liebevoller, schlauer … doch am Ende gibt es immer andere, die in allem besser sind. Und wieder andere, die noch unzufriedener mit sich sind als ich.

Wie schaffen wir es, mit uns selbst Frieden zu schließen? Denn da hilft mir mein Verstand gerade doch, denn ich weiß, dass meine Mitmenschen mich völlig unabhängig von dem, was ich mache oder nicht mache, schätzen.

Auf einmal ist Ruhe in meinem Kopf. Zeit für eine Siesta mit den Katzen vorm Ventilator. Danach lese ich weiter in Oshos „Liebe, Freiheit, Alleinsein“.