Grübeleien in der Morgendämmerung

Draußen dämmert es. Es ist 7.41 Uhr. Jaime ist vor einer Stunde los und seitdem kann ich nicht wieder einschlafen. Grübeleien über die Eliten halten mich davon ab. Soweit sind wir jetzt schon. Also raffte ich mich auf und holte den PC. Plötzlich ist Ghost ganz ruhig, nachdem er die halbe Nacht dramatisch miauend durch die Wohnung geisterte. Ach, wenn ich nur verstehen würde, was er sagt.

Nun nutze ich die Morgenseiten auch mal wirklich als Morgenseiten und schreibe alles raus in der Hoffnung, dass mein Kopf dann Ruhe gibt. An Einschlafen wird dann zwar auch nicht mehr zu denken sein, aber dafür habe ich dann schon was geschafft. Immerhin habe ich von gestern Abend
kurz vor elf bis 6.20 Uhr geschlafen. Das sind siebeneinhalb Stunden. Laut manchen Wissenschaftlern, von denen ich einst in irgendwelchen Zeitschriften las, die optimale Schlafzeit. Sie müssen es ja wissen, ha. So ein Blödsinn.

Dass wir uns inzwischen von anderen sagen lassen müssen, was wie optimal für uns ist. Wenn ich kann, stelle ich keinen Wecker. Dann entscheidet mein Körper, wie viel Schlaf erbraucht und das ist ganz unterschiedlich. Da ich nun eh nicht wieder einschlafen kann, gehe ich davon aus, es reicht meinem Körper. Es ist nur der innere Schweinehund, der so gern im Bett kuschelt. Naja.

Zurück zu den Eliten. Ich habe das Buch von Mausfeld nun fast durch. Jetzt am Ende geht es um Folter. Die große Errungenschaft, dass sie weltweit strikt und ohne Ausnahmen verboten wurde, aber immer mehr Menschen daran versuchen zu rütteln und Ausnahmen legal zu machen.

Es erscheint mir absurd. Erstens wissen wir alle, dass so oder so gefoltert wird und zweitens, warum immer noch so viel Energie aufwenden wollen, um dieses selbstzerstörerische und absurde Verhalten von einigen Menschen verstehen zu wollen, die Folter wieder legal einführen wollen. Sie gehen einfach davon aus, dass sie nie die Gefolterten wären,sonst würden sie dies wohl kaum tun. Wie können sie sich da so sicher sein? Zeugt das nicht von extremer Arroganz? Sie sind unberechenbar. Und da sind wir beim Punkt! Wer sind SIE? Die Eliten? Immer diese Aufteilungen.

Da fiel mir dann Daniele Ganser wieder ein – der ewige Retter meines Geistes – mit seiner Idee der Menschheitsfamilie. Auch die Eliten gehören dazu. Wenn Ganser Kriegslügen aufklärt, zeigt er die Taktik der Entmenschlichung der späteren Opfer durch Begriffe wie „Termiten“ und so weiter. Doch tun wir nicht unbewusst etwas Ähnliches, wenn wir Eliten sagen? Stellt sich unter „Eliten“ jemand einen Menschen vor? Wir denken an machtgeile Psychopathen, die über Leichen gehen. Wo fangen die Eliten an, wo hören sie auf.

Und was und wer ist das Volk? Gehöre ich zum Volk oder zu den Eliten? Ich bin weder an der Armutsgrenze, noch leide ich unter meinem Alltag, irgendwelcher Politik oder Einschränkungen. Ich fühle mich reich, aber bin keine Millionärin. Ein Bekannter von mir hat mehrere Unternehmen und verdient auf jeden Fall Hunderttausende Euro im Jahr. Gehört er zu den Eliten? Ist er noch Mittelschicht?

Die Leute, die für Rubikon schreiben, wo gehören sie hin? Sie schreiben über das Volk und die Eliten, als wären sie ebenfalls außerhalb von ihnen, als seien sie objektive Beobachter, die dem Opfer „Volk“ helfen wollen, sich gegen den Täter „die Eliten“zu behaupten. Sind wir alle nur noch Beobachter oder sind wir mitten drin? Das mag ich so an Gansers Art. Er erzählt und ist mitten drin. Er spricht nicht von Eliten, sondern nennt Namen, betont, dass auch diese Leute zur Menschheitsfamilie gehören.

Nun mag sich wieder der intellektuelle Methodiker fragen, was uns das bringen soll, ob dieser Gedanke und nicht nur einlullt und vom Handeln abhält. Und nun kommt meine große Erkenntnis: Nein! Es fühlt sich plötzlich für mich an, als bräuchte die gesamte Menschheit eine Therapie. Und zwar keine Null-Acht-Fünfzehn-Psychotherapie,in der ihre Kindheit analysiert wird, sondern eine Therapie im Stil von Anna Cooper, meinem spirituellen Führer auf Highheels, meiner Therapeutin,die sich immer professionell, menschlich und leicht verrückt und spirituell und sehr humorvoll zugleicht zeigte. Eine Therapie, die uns zurück ins Leben holt,die diesen grauen Schleier der Wohlstandsgesellschaft und Erziehung von uns löst und wieder das Leben fühlen lässt. Und ihr Satz der Sätze:

Eine Methode gibt es nicht, aber es funktioniert.

Genau so fühlt sich Gansers Schaffen für mich an. Wir müssen weder debattieren, noch Recht haben, noch sonst irgendetwas. Die Therapeuten müssen noch nicht einmal wissen,dass sie zu den Therapeuten gehören, denn in so einer wahren Therapie heilen sich Therapeut und Patient gegenseitig. Wir brauchen einfach nur wahrhaftig und wir selbst zu sein.

Ich zähle mich hier natürlich gerade zu den Therapeuten, aber das ist zweitrangig, denn in meiner Therapie mit Anna, war ich die „Patientin“ und half auch ihr, wie sie nie müde wurde zu betonen, durch mein wahrhaftiges Streben zu mir selbst und zu einem Ausweg aus meiner Sackgasse, die mich immer nur bis zum Schleier führte und vom Leben trennte.

Was im Kleinen beginnt, setzt sich im Großen fort, das empfinde ich immer mehr. Unsere neuesten Leserzuschriften beim Rubikon sind sehr ermutigend, selbst die kritischen. Sie sind menschlich, von Herzen geschrieben, das spürt man selbst per E-Mail!

So wie ich an dieGrenzen meiner inneren Leere stieß und so die Geduld und den „unbreakable“ (oh Gott, mir fällt das deutsche Wort nicht ein … unbrechbaren??) Willen entwickelte, um den Weg durch das dunkle verwirrende Tal der Tränen und Schmerzen und noch schlimmer der Scham und des Gefühls eines kleinen Häufchens Elend zu gehen, oder vielmehr zu irren, denn ich hatte keine Ahnung, in welche Richtung ich lief, oft lag ich einfach nur neben einer Pfütze im Nebel und dachte, ich schaffe es nie, und irgendwie, nach und nach kam immer mehr Licht und Leichtigkeit und Wind, ah, der Wind, im Haar, auf der Haut und dann spürte ich plötzlich das Meer vor mir, die Luft um mich, die Menschen … und ich konnte nicht sagen, wie lange das schon so war. Es war so schleichend gekommen. Eine Methode gibt es nicht, aber es funktioniert!

Das ist es, was wir brauchen. Schluss mit Methoden und Wahrheiten und keine Ahnung was. Schluss mit solchen Sätzen wie dem letzten, ha! Jeder geht seinen Weg, der sich für ihn richtig anfühlt. Wir werden uns zanken, streiten, Angst haben, das Gefühl haben,nicht weiter zu kommen, wahrscheinlich auch sterben, denn bei mir dauerte es zwei Jahre, dann wird es für die Menschheit wohl noch ein bisschen länger dauern.

Für viele mag dies Schwachsinn sein. Doch mir gibt es inneren Halt und Frieden, die Welt und unseren derzeitigen Zustand der Menschheit, meine Angst vor einem am eigenen Leib erfahrenen Krieg, vor anderen Katastrophen, die uns prophezeit werden, einfach als Angst zu spüren, ohne mich von ihr wahnsinnig machen zu lassen und durch sie zu vergessen, das Leben zu genießen.

Das leise Summen der Elektroheizung erreicht mein Ohr. Die Autos auf den Straßen unten. Ein dumpfer Lärm im Hintergrund. Vielleicht kommt er auch vom Flughafen. Inzwischen ist es heller. Wolken ziehen über die Berge. Sie sind noch leicht rosaorgange von der aufgehenden Sonne, die irgendwo in meinem Rücken hinter den Gebäuden in den Himmel kriecht.

Ghost springt gerade aufs Bett und schnuppert an Frida. Springt sie an, sie schreit und ich kriege einen Miniherzinfarkt und habe mich gleich vertippt. Doch die moderne Technik lässt diesen Fehler verschwinden, von dem niemand etwas wüsste, wenn ich es nicht noch einmal zu Protokoll gebracht hätte. Ein Flugzeug startet. Ghost glotzt in der Gegend herum und ich frage mich immer wieder, was in diesen Momenten in ihm vorgehen mag.

Ich habe nun genug geschrieben. Hoffentlich gibt mein Geist jetzt etwas Ruhe. Frida leckt sich das Pfötchen. So ein süßer Anblick. Gott, ich danke dir für die Katzen, was auch immer du bist. Ich wünsche allen Menschen einen schönen Tag, was auch immer das für unsere verschiedensten Lebensumstände heißen mag. Wir sind eine Menschheitsfamilie. Mögen müssen wir uns deshalb nicht …

Ghost ist auf Krawall gebürstet. Frida kuschelte sich nun neben meinen Laptop und auch hier sprang er sie an, sie schrie auf und stob davon. Ich sagte: „Ghosti, och nööö,lass uns doch mal schön harmonisch hier sitzen“. Tja. Dieser blöde Wunsch nach ständiger Harmonie. Ghost zeigt mir, dass das Leben … ach was weiß ich. Es ist,was es ist.

Woher diese Sucht nach Weisheit und Verständnis und Analyse? Kann ich nicht einfach mal hier sitzen und den Moment genießen, so wie er ist? Mit Katzengeschrei, Grübeleien und dumpfem Straßenlärm? Aufatmen. Das ist es. Mache jetzt Kaffee!