Der schwarze Schwan

Seit anderthalb Jahren habe ich keinen Beitrag mehr für Flohbair geschrieben. Warum auch immer. Ich könnte das jetzt mal wieder analysieren, aber dazu habe ich keine Lust. Stattdessen möchte ich wieder loslegen und meinem Herzensprojekt wieder genauso viel Lebensenergie widmen wie meinen anderen Aktivitäten für den Rubikon und meinen Bildern.

Ich habe mir vorgenommen, einfach wieder loszuschreiben, ohne Perfektionismusanspruch. Aus mir herausfließen zu lassen, was mich beschäftigt, einfach um diese „Blockade“ zu überwinden. Das wird jetzt nicht der Artikel des Jahrhunderts und vielleicht liest du noch nicht einmal bis hierher, aber er hilft mir, ins Machen zu kommen. Einfach anfangen.

Selbstzweifel quälten mich in den letzten Tagen. Ich bat meine Freundin, eine Grafik- und Websitedesignerin, um Hilfe, um Flohbair wieder zu neuem Glanz zu verhelfen. Die Website etwas schöner und an die heutige Zeit anzupassen, wo die meisten Menschen die Texte wohl auf dem Smartphone lesen. Doch sie lehnte ab, da sie mit Freundinnen nicht arbeiten könne. Also nicht für Geld, während ich Freundinnen nicht für mich arbeiten lasse, ohne ihre Arbeit mit einer Bezahlung zu würdigen – oder einem Austausch von Fähigkeiten.

Gestern fuhr ich in aller Früh mit dem Fahrrad nach Palma für eine Blutanalyse. Seit Ewigkeiten schiebe ich die schon vor mir her und gestern wollte ich es endlich angehen. Während es noch dunkel war, ich trotz schlechter Laune versuchte, die morgendliche Frische und den Weg mit dem tosenden Meer an meiner Seite zu genießen, fiel mir auf, dass ich gekränkt war. Mein Projekt interessierte meine Freundin nicht. Selbstliebe. Meine Art, das zu präsentieren.

Von diesen Gedanken geplagt, die sich in Dauerschleife wiederholten, kämpfte ich mich vorwärts. Als ein entgegenkommender Radfahrer mich anschrie, dass ich eine Maske tragen solle, brach ich in Tränen aus. Dann verfing sich meine Hose in meiner Fahrradkette, wodurch mein Fixie-Fahrrad prompt zum Stehen kam. Wie durch ein Wunder stürzte ich nicht, aber stand instabil mit dem Bein fest an die Fahrradkette gefesselt da und wusste nicht, was ich tun sollte.

Eine ebenfalls Maske tragende Radfahrerin hielt an und half mir. Sie war in Weiß und Hellblau gekleidet, wahrscheinlich auf dem Weg ins Büro. Ich sagte, sie würde sich ihre Hände mit dem Kettenöl schmutzig machen, doch sie lächelte hinter ihrer Maske, was ich an ihren Augen und ihrer lieben Stimme merkte.

Als ich befreit war, versicherte sie sich, ob alles in Ordnung sei und ich ließ sie weiterfahren. Und wieder brach ich in Tränen aus, hätte mich am liebsten verkrochen. Stand nun mit einer knallgelben Hose voller Fahrradschmiere, zitternden Beinen und einem Rad, das ich mit dieser Hose nicht wieder besteigen wollte, in aller Früh in Palma. Ich setzte mich auf eine Bank, um mich zu beruhigen und einen klaren Kopf zu bekommen.

Nicht nur, dass ich so empfindlich bin und die kleinsten Dinge mich aus der Fassung bringen, nein, hinzu kommt diese Selbstverurteilung, weil ich ja selbst nicht verstehe, warum ich so krass reagiere. Es ist völlig übertrieben und es fällt mir schwer, mich so anzunehmen. Heulsuse. Wie sollen es andere mit mir aushalten, wenn ich selbst mich kaum ertrage? Und dann noch diese nach Selbstmitleid schreienden Gedanken. Abartig. Ein Teufelskreis. Und dann schreibe ausgerechnet ich über Selbstliebe?

Als ich langsam zur Ruhe kam, beschwichtigte sich auch meine innere Stimme. Ich beschloss, bis zur Klinik zu Fuß zu gehen und mir später im Second-Hand-Laden eine engere Hose oder einen Rock zu kaufen, um dann wieder mit dem Fahrrad ins Co-Working-Büro und abends nach Hause zu fahren.

In der Klinik warteten extrem viele Menschen und ich war schon kurz davor, wieder umzukehren, da ich keine Ahnung hatte, wo ich hin sollte und wie das alles funktioniert.

Ich fragte einfach jemanden. Während die Gedanken noch überlegen, was jetzt zu tun sei, handelt mein Körper einfach und spricht jemanden an – das Leben kann so einfach sein, wenn wir unsere Gedanken mal einfach Gedanken sein lassen.

Eine freundliche Frau erklärte es mir, ich zog meine Nummer und wartete einfach. Ohne Buch und ohne Smartphone saß ich einfach da. Beobachtete die Menschen um mich herum und die Krankenschwestern, denen es gelang, in diesem Chaos nicht den Überblick zu verlieren und vor allem menschlich und freundlich mit allen umzugehen, die sie ansprachen und in ihrem Gewusel unterbrachen, um nach Rat zu fragen. Mein Weltbild wird mit jeder Beobachtung dieser Art etwas geheilt. Aufatmen.

Nachdem sie mir das Blut abgenommen hatte, riet mir die Schwester gut zu frühstücken. Ah! Ein schönes Stichwort dachte ich, inzwischen wieder beschwingter. Ich gönne mir jetzt – so wie ich es auf Flohbair immer predige – ein Prinzessinnenfrühstück in meinem Stammcafé, das gleich um die Ecke des Second-Hand-Ladens liegt. Tost mit Avocado, Landei und Feta-Käse, Kaffee und ein Croissant. In der Fensterbank. Ich begann Artikelideen für Flohbair zu notieren und spürte, wie sich meine Stimmung mit jeder Tat hob, die ich im Einklang mit meinen Bedürfnissen und Wünschen tat.

Im Büro sagte ich meiner Freundin dann ohne Vorwurf, dass mich ihr „nein“ gekränkt hatte und sie erklärte mir ihre Sichtweise. Am Ende einigten wir uns darauf, nächste Woche in eine gemeinsame Besprechung zu machen, in der ich ihr konkret zeige, wo ich ihre Hilfe brauche und sie schaut, ob sie mir helfen kann. Sie interessiert sich für mein Projekt und ihr „nein“ war ihrer Erziehung und Prägung verschuldet, von Freunden kein Geld anzunehmen. Wir beide möchten dazulernen. Unsere Freundschaft ist konfliktreich, was uns beiden zu immer mehr Selbsterkenntnis verhilft.

Am Abend fuhr ich müde von all den Emotionen nach Hause und genoss die Meeresbrandung bei sanfter innerer Stimmung.

Als ich vor inzwischen fünf Jahren begann, diesen Blog zu schreiben, wünschte ich mir Lebendigkeit. Fülle. Mein Wesen ist – zumindest zur zeit – extrem empfindsam. Vielleicht wird das immer so bleiben. Ich möchte es nicht ändern, obwohl es oft unangenehm ist, in der Öffentlichkeit zu weinen, das Unbehagen der anderen und vor allem die eigene Selbstverurteilung zu spüren. Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt … ist die Seele, die l(i)ebt.

Nun der Übergang zum Titel: Was hat ein schwarzer Schwan damit zu tun?

Nichts.

Meine Eltern schickten mir letzte Woche zum Geburtstag ein Paket. Das war neu. Sonst kam eine Karte. Allein die Tatsache ein Paket zu empfangen, ist eine große Freude. Die prickelnde Ungewissheit, was es wohl beinhalten mag, zog ich absichtlich etwas in die Länge. So wie diesen Text, der weder ein klares Thema, noch irgendeinen Mehrwert hat.

Jedenfalls befand sich in dem Geschenkpaket das Buch „Der Schwarze Schwan“ von Nassim Nicholas Taleb, von dem ich auch schon das Buch „Skin in the Game“ gelesen hatte. Wow, ein Volltreffer. Ich freute mich und stürzte mich auf das weitere kleine Paket, das noch dabei war. Dieses offenbarte eine Kette mit Diamantanhänger in Form eines schwarzen Schwans. Wow! Ein Diamantschmuck passend zum Buch? Und beides gefällt mir!

Ich war so gerührt, wie gut meine Eltern meinen Geschmack getroffen hatten. Und irgendwie brachte mich diese ganze Szene dazu, wieder mehr schreiben zu wollen, jetzt, wo der Sommer vorbei ist, in dem ich mich dem analogen Leben am Strand mit Freunden hingegeben und dieses aufgesaugt habe, wie ein Schwamm. Es hat alles keinen Zusammenhang und irgendwie doch. Ich weiß nicht, ob irgendjemand bis hierher liest. Falls, ja, könntest du mir bitte eine E-Mail schreiben und mir erklären, warum? Hahaha.

Dieser Text ist einfach für mich. Für meinen geliebten Blog, den ich wieder pflegen möchte, weil ich merke, dass er mir hilft, die Balance zu finden zwischen dem Außen und dem Innen, dem Ego, das viele Leser möchte, die ich dank dem Rubikon und unserer Mutmach-Redaktion erreichen kann, und dem anderen Teil in mir, der einfach atmen, lieben und schreiben möchte, was ich hier im kleineren und authentischeren, persönlichen Kreise kultivieren kann. Hier kann ich persönlichere, improvisierte und „sinnlose“ Texte veröffentlichen, weil es kein Image, keinen journalistischen Anspruch und keine Erwartungen gibt.

Ich wünsche uns allen, dass wir uns die Erlaubnis geben, auch nicht perfekt zu sein, empfindlich zu sein, fehlerhaft zu sein und vielleicht sogar langweilig. Wir atmen. Noch. Das ist es, was zählt.

Ich fühle mich gut, wenn meine Finger über die Tastatur fegen, obwohl ich nichts Bedeutungsvolles zu schreiben habe. Also mache ich es einfach und sehe für mein Selbstbild zumindest aus wie eine Schriftstellerin. Ein wenig Selbstironie schadet nie. So jetzt ist Schluss.

Lebe. Mache Schwachsinn. Sei unperfekt.

 

Mit meinem Buch, meiner Kette und meinem Klappstuhl am Strand lesen und den Wind im Haar spüren. Wann saßt du das letzte mal bewusst und lange an der frischen Luft, um zu lesen oder den Wind zu spüren?