Zugeschnürter Magen. Wir trinken Cocktails. Kerzenschein unter Palmen und Zitronenbäumen. Mir ist schwindelig und ich weiß nicht warum. Will tief durchatmen, doch die Luft bleibt am Magenknoten hängen. Übelkeit. Ich fürchte umzukippen und versuche mich selbst zu beruhigen. Die anderen merken es nicht. Lebendige Gespräche quer über den Tisch und die Guacamole in der Mitte. Alles ist gut. Ich hasse diesen Satz. Im außen ist alles nicht nur gut, sondern paradiesisch, perfekt.
Mein Verstand versucht verzweifelt zu analysieren, was los ist. Ich sehe nicht, wo das Problem ist. Die Trennung von A.K.? Die Krebsdiagnose meiner Freundin? Der Besuch von Coco aus Frankreich, die ich so selten sehe? Mein Körper reagiert und der Verstand begreift die unpassende Reaktion des Körpers nicht.
Also drehen meine Gedanken durch, drehen sich immer schneller. Wenn ich den Mund aufmache, ergießen sie sich in Sturzbächen über meine Zuhörer, bis ich es schaffe, den Mund wieder zu schließen. Wo bin ich bei alledem? Mein Körper macht, was er will – Knoten im Magen. Meine Gedanken machen, was sie wollen – fieberhaft Kontrolle suchen und sich die Lächerlichkeit dieses Unterfangens nicht eingestehen.
Ich lehne mich zurück, höre das Geräusch der Tischgespräche auf Französisch und Spanisch ohne zuzuhören, trinke einen Schluck Wasser. Ich bin überfordert, möchte einfach nur noch ins Bett. Das Leben, wir Menschen, nichts ist, wie es scheint. Unser Verstand versteht gar nichts. Ich ergebe mich. Lasse mich vom Körper durch die Gegend tragen, von den Gedanken vollquatschen und durchspülen, bleibe einfach sitzen.
Alejandro bringt einen Digestivo mit Mezcal. Ich nippe, stoße auf, Erleichterung. Es ist, was es ist. Ein perfekter Sommerabend mit Freunden – nach einer Trennung und einer Krebsdiagnose im engen Umfeld. Alles ist vergänglich, das Leben macht Angst, Geselligkeit und innerer Stress, Trauer und Genuss wechseln sich ab. Meine einzige Aufgabe ist, hier zu sein. Atmen und abwarten. Innehalten. Mein Körper erinnert mich, innezuhalten. Alles zu seiner Zeit. Ich brauche mein Lieblingsgedicht. Es beruhigt mich.
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Stufen (1941) – Hermann Hesse