Abends halb zehn in Spanien.
Ohne Knoppers, dafür mit Laptop, sitze ich auf meiner Terrasse.
Meine nackten Füße berühren die noch warmen, orangeroten Fliesen. Ein fantastisch provokativer Titel starrt mir aus einem weißen Word-Dokument entgegen.
Meine Finger tippen ein paar Worte.
Löschen wieder.
Das Ganze habe ich nun schon ungefähr zehn Mal durchgespielt und ich komme immer noch nicht in den Fluss. Ich weiß genau, was ich dir sagen möchte, aber ich weiß nicht wie.
Kaum habe ich ein paar Zeilen geschrieben, höre ich ein deutliches „Gäääähhhhhn!“ in meinem Kopf. Kann auch daran liegen, dass ich müde bin und einfach schreiben möchte, um wieder zu schreiben. Weil ich eben gern einfach schreibe. Und weil mein Lieblingsblogger Schreibsuchti in seinen 43 besten Schreibtipps aller Zeiten schrieb, man solle jeden Tag schreiben.
Das tut mir gut. Danach fühle ich mich immer irgendwie ausgeglichener. So wie manch anderer vielleicht nach dem Sport.
Warum ich ausgerechnet heute nun ausgerechnet über dieses Thema schreiben möchte, zu dem mir kein Text aus der Magengrube sprudelt, wie meine Artikel sonst?
Eine gute Frage.
Die Antwort lautet, weil es mich gerade nervt. Nicht das Thema, sondern das Wort. Die Vorstellung von Selbstliebe, die viele von uns zu haben scheinen. Die wahrscheinlich bei den meisten so klar ist wie die Sicht unter Wasser ohne Taucherbrille.
Ein Leser schrieb mir liebevoll, dass er den Eindruck habe, ich sei ja selbst noch nicht so recht angekommen. Er fragt sich, ob man Menschen zu etwas inspirieren kann, worin man selbst noch kein Meister ist. Er schlug vor, meinen Lesern klarer zu kommunizieren, dass ich selbst noch auf dem Weg bin, damit ihr den Prozess quasi mitverfolgen könnt.
Das fand ich so interessant, dass ich darüber schreiben wollte.
Auch wenn ich nicht weiß wie. Dann wird es eben ein holpriger Artikel. Ich verzeihe mir, haha. (Ein kleiner, leicht ironischer Selbstliebe-Scherz.)
Während ich mein weißes Word-Dokument so anstarrte, ab und zu den Blick hebe und zu meiner hinter mir auf einem Stuhl entspannt vor sich hin lebenden Zenmeister-Katze schiele, mache ich mir so meine Gedanken dazu.
Ich stelle fest, ich möchte kein Meister sein. Ich möchte auch nicht „ankommen“ im Sinne von „Auslernen“. Ich möchte wachsen. Ich möchte lernen. Ich möchte Mensch sein.
Was ich gelernt habe und an dich „weitergeben“ möchte, ist die Erkenntnis, dass wir anders mit uns umgehen können, als wir es seit Generationen gelernt haben.
Also scheiß auf den Begriff Selbstliebe und fange einfach an, netter zu dir selbst zu sein. Nicht mehr und nicht weniger.
Und zwar nicht auf die gezwungene Tour. Das bringt auch nichts. Dann schnauze dich lieber authentisch innerlich selbst an, als dir innerlich künstliche „positive“ Gedanken vorzubeten und am Ende dafür zu hassen, dass du nicht in der Lage bist, dich selbst zu lieben.
Für mich fängt es damit an, erst einmal auf deine innere Stimme zu achten, die den ganzen Tag so auf dich einquatscht. Deine Gedanken.
Ich habe früher ständig, also wirklich mehrmals am Tag gedacht oder gesagt: „Ich Idiot.“
Ich ramme mir das Knie am Couchtisch. Ich Idiot. Ich vergesse den Schlüssel in der Wohnung. Ich Idiot. Mir wird in einer lauen Sommernacht mit Freunden am Canal Saint-Martin in Paris die Handtasche geklaut. Ich Idiot.
Eines Tages sagt meine geliebte Freundin Michèle zu mir: „Du Idiot.“
Verdutzt und halb empört sehe ich sie an. Wie kann sie so etwas Fieses sagen? Sie grinst. Bin ich im falschen Film? Als sie merkt, dass ich nicht verstehe, warum sie das sagt, erklärt sie mir, dass ich ständig selbst sage „Ich Idiot.“. Ups. Ich hatte es nie gemerkt.
Wir lachen beide. Doch eigentlich ist es traurig. Wenn ein anderer Mensch mit uns redet, wie wir selbst, sind wir verletzt und empört.
Warum tun wir es dann selbst?
Ganz einfach. Weil wir es gar nicht merken. Wir sind daran gewöhnt.
Ein Kleinkind, das den ganzen Tag von seinen Eltern als Idiot bezeichnet wird, findet das wahrscheinlich auch normal.
Sobald du auf deinen gedanklichen Umgang mit dir achtest, kommt der Rest nach und nach eigentlich von allein. Du wirst neugierig auf dich selbst. Nimmst dich als Mensch wahr, der viel für dich tun kann.
Du beginnst ganz einfach, auf dich selbst zu achten. Auf deine Gedanken folgen die Gefühle.
Die Gefühle geben dir deinen Weg an.
Du weißt genau, was du wann brauchst. Und wenn du es mal nicht weißt, weißt du, dass dein Körper es dir früher oder später schon deutlich machen wird.
Du widmest dich mehr dem, was für dich wichtig ist, und manchmal eben auch den Dingen, die dir keine Freude machen. Du lebst das Leben so wie es ist. Vielseitig. Mal angenehm, mal ätzend. Mal heiter, mal wolkig. Mal himmelhoch jauchzend, mal traurig und betrübt. Du machst nur kein Drama mehr daraus. Denn das Drama waren ja nur Gedanken.
So empfinde ich mein Leben.
Ob das nun meisterhafte Selbstliebe ist oder nicht, ist doch egal.
Das Drama ist verschwunden. Darauf kommt es am Ende vielleicht an.
Wie siehst du das?
Hinterlasse mir deinen Kommentar und bereichere meine Wahrnehmung.
Sei es dir wert.
PS: Wenn es so „einfach“ ist, warum brauchst du dann meinen Blog und meine Anregungen? Auch ganz einfach. Weil eine neue Gewohnheit nicht von heute auf morgen kommt und Training braucht. Training gebe ich dir in Form meiner wöchentlichen Mails, die dich einfach an Sachen erinnern, die dir helfen, liebevoller zu dir zu sein. :)
Schöner Artikel! Mein Ziel ist es, mit mir selbst befreundet zu sein. Das klingt weniger groß und übermächtig als Selbstliebe für mich. Jede Freundschaft hat Höhen und Tiefen, wenn sie lange genug dauert….Und ich fänd es eher unglaubwürdig, wenn du verlünden würdest, dass du in dem Bereich total perfekt und angekommem bist ;)
Ah endlich! Wieder Authentizität! Und eine sehr gute Zusammenfassung deines Blogs finde ich. Zudem kann man das ein oder andere für sich selbst mitnehmen.
PS: Ich glaube du hast in letzter Zeit zu viel PS und PPS gelesen und selbst geschrieben, das hättest ruhig weglassen können :). Denn woher kommt eigentlich deine Annahme, dass ich deinen Blog und deine Anregungen brauchen würde? (hehe) Ich lese deinen Blog einfach nur sehr gerne
Danke, Paul!
Du hast Recht. Ich nehme es auch niemandem ab, dass er sich die ganze Zeit liebt. Warum nur immer so hohe Ansprüche, die meines Erachtens nicht in der Natur des Menschen liegen. Wir lieben doch auch unsere Kinder, Eltern und Partner nicht jeden Tag in einem Überschwang an Gefühlen. Man weiß, man liebt sie, aber man fühlt es doch nicht die ganze Zeit. Manchmal ist man sogar ziemlich genervt von ihnen. So darf es einem auch mit sich selbst gehen.
Die „Selbstliebe“ soll kein neuer Stress werden. Für mich geht es darum, mit sich selbst so lieb umzugehen wie mit den Menschen, die wir lieben. Das hilft vielen vielleicht als Ansatz.
Einen guten Freund versetzt man nicht ständig. Also versetzt man sich auch nicht ständig selbst, indem man die Anliegen der anderen dazwischen schiebt, obwohl man sich etwas Zeit für sich nehmen wollte. Als kleines Beispiel.
Ihr macht das schon :)
Ein schöner Austausch!
Liebe Grüße, Paul!
Lieber Orkan,
danke für deine ganzen Gedanken zur Selbstliebe und zu meinem Umgang mit ihr. Das ist sehr bereichernd, da es stimmt, dass ich mich schnell in dem verfange, was ich von anderen lese. Ich freue mich auch sehr, dass du schreibst, du liest den Blog einfach nur gern, ohne dass du da irgendetwas suchst oder erwartest, das du „brauchst“.
Das nimmt mir den Druck raus, den ich mir selbst durch das Lesen zu vieler Ratgeber mache.
Sitze gerade mit einem sanften Lächeln vorm PC und fühle mich irgendwie leichter und auf dem richtigen Weg zu meiner Art zu schreiben.
Danke also noch einmal.
Liebe Grüße an dich, Orkan!
Elisa
Das ist toll und freut mich!
Auch ich bin dankbar. Dafür, dass ich auf deinen Blog gestoßen bin und Artikel von einen bemerkenswerten und doch ganz normalen Menschen lesen darf.
Liebe Grüße auch von mir!
Orkan