Warum ich dich beneide

Ich bereue es.

Warum sagte ich meiner Freundin Sara gestern so spontan zu, ihr beim Umzug zu helfen?

Es sind verdammte 31 Grad im Schatten mit gefühlten 168 % Luftfeuchte. Morgens 8.30 Uhr! Ich fühle mich schlapp und schwerfällig. Könnte jetzt noch liegen bleiben, wenn ich es geschafft hätte, mir wirklich treu zu bleiben und nein zu sagen.

Ich hatte gezögert. Am Ende habe ich doch zugesagt. Aus schlechtem Gewissen. Ich will ihr ja helfen. Immer diese Gewissenskonflikte. Da ist es echt eine Herausforderung, für seine Bedürfnisse einzustehen.

Ich schlürfe mit hängenden Schultern ins Bad. Von dort direkt zum Laptop, denn ich muss noch zwei Übersetzungen liefern, bevor ich mich losmache.

Mein geruhsames Frühstück auf der Terrasse gönne ich mir natürlich auch noch. Das hat sich schon zu einer festen Gewohnheit etabliert. Komme was wolle.

Mit zwanzig Minuten Verspätung fahre ich los. Hier in Spanien juckt das Gott sei Dank keine Sau. Da fällt es leichter, selbst gelassener zu sein.

Als ich bei Sara eintreffe, freut sie sich sehr, mich zu sehen.

Sie zeigt mir, wobei ich ihr helfen kann. Alles in Kisten und Beutel packen. Vor allem die Sachen ihrer Töchter, die morgen von einer Urlaubsreise mit der Oma zurückkommen und gleich alles in ihrem neuen Zimmer vorfinden sollen, um sich zuhause und angekommen zu fühlen.

Ich packe an. Es macht mir Spaß. Ich fühle mich rundum wohl, habe eine Energie, die mich selbst überrascht, während sich sogar die Schweißtropfen auf meinem ganzen Körper schön anfühlen.

Solch ein Gefühl hatte ich lange nicht mehr.

In zweieinhalb Stunden schaffen wir es, alles Kleine zusammenzupacken und in ihre neue Wohnung zu schaffen, so dass die Jungs, die ihr ab jetzt helfen, in Ruhe Möbel abbauen und transportieren können.

Ich verabschiede mich begeistert von ihr. Sie zeigt mir ihre Dankbarkeit und strahlt. Ich strahle zurück und bin ebenfalls dankbar. Dankbar gebraucht zu werden. Dankbar, mich nützlich zu machen.

War doch die richtige Entscheidung gestern, ihr zu helfen. Es hatte einen guten Grund, dass es sich Scheiße angefühlt hätte nein zu sagen.

Ich flitze los, denn ich bin verabredet. Frisch geduscht schaue ich aufs Handy. Meine Verabredung hat abgesagt.

Plötzlich habe ich den ganzen Nachmittag vor mir. Jaime hilft gemeinsam mit den Jungs beim Umzug von Saras Möbeln.

Ich lege mich erstmal hin. Die Hitze überfällt mich wieder. Die Schlappheit kehrt zurück.

Meine Hand greift ständig zum Smartphone. Anstatt einfach wirklich nichts zu tun, spüre ich mein Verlangen nach Ablenkung. Surfe auf Facebook, Instagram und ein paar Blogs herum. Checke ständig meine Mails. Doch keiner schreibt und nichts interessiert mich.

Also lege ich es am Ende doch zur Seite. Nehme stattdessen meinen neuen eReader zu Hand. Die Batterie ist alle. Er geht aus. Die anderen Bücher auf meinem Nachttisch interessieren mich nicht.

Meine Katze ahnt, dass ich es nun auf sie absehe. Zum Kuscheln und spaziert vorsichtshalber aus dem Zimmer.

Mist.

Wieso fällt es selbst mir, die hier einen Artikel nach dem anderen über das Nichtstun schreibt, so schwer wirklich NICHTS zu tun?

Das Leben hilft mir mal wieder und zwingt mich nun eben auf seine eigene „charmante“ Weise.

Also liege ich da. Starre die Decke an. Beobachte die Vorhänge. Höre meine Gedanken quatschen ohne zu wissen, was genau sie sagen. Fühle mich mit jedem Atemzug trübseliger.

Zwei Stunden später kommt Jaime endlich nach Hause. Ich bin inzwischen eingenickt und erschrecke kurz. Er hat es eilig. Duscht nur schnell und muss wieder auf Arbeit.

Ich breche in Tränen aus. Na endlich. Jaime sieht mich ruhig an – er ist diesen Anblick inzwischen gewohnt – und fragt, obwohl er die Antwort schon kennt: „Was ist los?“

„Ich weiß es nicht.“

Und ein Teil in mir weiß es eben doch. Es ist nur nicht richtig greifbar.

Es ist schön, keine Erklärung mehr geben zu müssen. Ich habe eben wieder ein Tief. Er küsst mich zum Abschied und ist weg.

Ich kämpfe nicht gegen meine Tränen an. Es ist keine Traurigkeit. Eher Verzweiflung. Ich finde einfach die Lösung nicht und vielleicht geht es genau darum anzunehmen zu lernen, dass es keine gibt.

Ich habe herausgefunden, was mich unglücklich machte: Mir keine Zeit zum Nichtstun zu nehmen. Dann habe ich es geändert und stelle fest, dass auch das Nichtstun unglücklich macht.

Denn heute Nachmittag merkte ich, dass diese Beklemmung, die ich da oft habe, ein gewisses Gefühl der Nutzlosigkeit und des Ausgeschlossenseins ist.

Alle haben etwas zu tun. Nur ich nicht.

Ich fühle mich oft nutzlos. Ich weiß, dass ich mit dem Malen und Schreiben schon einen Weg gefunden habe, mich nützlicher zu fühlen. Doch das sind Tätigkeiten, bei denen ich auch allein bin. Inspiriert sein möchte, um es genießen zu können …

Heute Morgen mit Sara kotzte es mich erst an, mich anstrengen und bei Hitze arbeiten zu müssen. Ab dem Moment, wo ich bei der Sache war, hat es mich absolut erfüllt.

Heute Nachmittag allein mit viel Zeit zum Nichtstun ging es mir beschissen.

Ich schreibe diesen Beitrag jetzt, um das Gefühl anzunehmen und auch als Teil meines Journaling-Experiments, um dir einen Einblick in mein Seelenleben zu geben. Denn ohne diesen Einblick kann ich nur immer ein Schwarz-Weiß-Bild vermitteln. Doch das echte Leben spielt sich nun einmal in Farbe ab.

Vielleicht bist du manchmal neidisch auf mich, wenn du liest, wie ich mein Leben so gestaltet habe, dass ich frei entscheiden kann, was ich mache und wie viel Zeit ich habe.

Nun weißt du, dass auch ich manchmal neidisch auf dich bin. Dass du etwas zu tun hast. Beschäftigt bist. Dich nützlich fühlst.

Das Fazit des heutigen Tages: Eigentlich ist es völlig egal, was du machst. Es wird Tage geben, da macht es dich glücklich und Tage, da gefällt es dir nicht.

Wichtig ist, wie du damit umgehst. Wie bewusst du dir deiner Gefühle bist.

Denn trotz meines Tiefs gerade, möchte ich mein Leben mit niemandem tauschen und liebe es. Mit allem, was dazugehört.

Ich wünsche dir das gleiche für dein Leben.

Sei es dir wert.

2 Kommentare, sei der nächste!

  1. Hi Elisa,

    ich bin überzeugt, dass dein Journaling dir etwas bringen wird. Über seine Gefühle zu schreiben befreit auf eine Art, welche für mich nur das Schreiben selbst vermag. Ich habe gemerkt, dass ich durch das verfasste Wort, teilweise direkt auf mein Unterbewusstsein greifen kann.

    Ich erlebe auch immer wieder Tiefs, langsam verstehe ich die Gründe.
    Und auch wenn ich mir nicht (mehr) herausnehme die ganze Welt zu verstehen, so glaube ich, dass sich „nützlich zu fühlen“ und „gebraucht zu werden“ der falsche Ansatz ist, um im Leben wirklich zufrieden(er) zu werden.
    Meiner Meinung nach steckt hinter deinem Wunsch gebraucht zu werden und nützlich zu sein, der Wunsch sich wertvoll und toll zu fühlen. Gibt es für dich vielleicht auch andere Wege?

    Deinen Satz, dass du dein Leben mit niemanden tauschen möchtest und liebst finde ich sehr schön. Ich frage mich aber, ob du dich selbst aus deinem Leben ausschließt, denn für mich klingt es so. Was ich damit meine (zugespitzt): „Mein Leben ist toll – juhu! Aber ich bin es nicht“.
    Kann das sein?

    Liebe Grüße
    Orkan

  2. Mensch Orkan,

    deine Worte überraschen und berühren mich immer wieder sehr. Bist du wirklich ein Mensch oder so ein mystischer Meister, der so tut, als sei er ein Blogleser? Haha. So wie Sokrates in „Der Pfad des friedvollen Kriegers“.

    Der Wunsch, mich wertvoll zu fühlen. Das fühlt sich treffend an. „Zufällig“ las ich gestern Abend auch noch einen Artikel von Mara Stix zum Thema Angst vor der eigenen Größe und dem eigenen Erfolg. Das ging auch etwas in die Richtung. Meine Therapeutin hatte das Zitat von einem Menschen, dessen Namen ich jedes Mal vergesse, schon vor zwei Jahren erwähnt: Wir haben mehr Angst vor unserem Licht als vor unserem Schatten. Fand ich einen schönen Spruch, aber so richtig begreifen konnte ich ihn (noch) nicht. Ich habe nun den Eindruck, ich nähere mich dem „Begreifen“ an.

    Dein zugespitzter Satz … Ich glaube du hast recht. Das bestürzt mich. Das bringt mich weiter.
    Ich danke dir zutiefst!!
    Liebe Grüße
    Elisa

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