Wahre Liebe

Was ist wahre Liebe überhaupt? Liebesbeziehungen scheinen vor allem immer eines zu sein: kompliziert. Warum ist das so? Haben wir vielleicht falsche Vorstellungen davon, was eine „gelingende Beziehung“ ausmacht? Nehmen wir uns überhaupt die Zeit, uns darüber bewusst zu werden, was wir wirklich für Liebe halten und von ihr erwarten?

Die Schwedin Andie Nordgren machte sich Gedanken dazu und schrieb das kleine Manifest der Beziehungsanarchie.

Beziehungsanarchie ist die Praxis, zwischenmenschliche Beziehungen auf der Basis individueller Wünsche anstatt feststehender Normen und Regeln zu führen. Was Andie schreibt, spricht mir aus dem Herzen. Deshalb möchte ich es dir nicht vorenthalten:

„Liebe ist im Überfluss vorhanden und jede Beziehung ist einzigartig

Beziehungsanarchie stellt die Idee in Frage, dass Liebe begrenzt vorhanden ist und nur echt sein kann, wenn sie sich auf ein Paar beschränkt. Du kannst mehr als nur einen Menschen lieben und eine Beziehung oder die Liebe für eine Person verringert nicht die Liebe, die du für jemand anderen fühlst.

Stufe Menschen und Beziehungen nicht ein und vergleiche sie nicht – schätze das Individuum und deine Verbindung zu ihm. Eine Person in deinem Leben muss nicht als vorrangig bezeichnet werden, damit die Beziehung echt ist. Jede Beziehung ist unabhängig und eine Beziehung zwischen eigenständigen Individuen.

Liebe und Respekt statt Ansprüche

Der Entschluss, eine Beziehung nicht auf der Basis von Ansprüchen zu begründen bedeutet, die Unabhängigkeit und das Selbstbestimmungsrecht des anderen zu respektieren.

Deine Gefühle für eine Person oder eure gemeinsame Geschichte gibt dir nicht das Recht, einen Partner herumzukommandieren oder zu kontrollieren, damit er dem entspricht, was in einer Beziehung als normales Verhalten gilt.

Erkunde, wie du dich auf jemanden einlassen kannst, ohne Grenzen und persönliche Überzeugungen zu überschreiten. Anstatt in jeder Situation nach Kompromissen zu suchen, lass geliebte Menschen Wege gehen, die ihre Integrität bewahren, ohne daraus eine Beziehungskrise zu machen. Sich von Ansprüchen und Forderungen fern zu halten, ist der einzige Weg, sicher zu sein, dass du in einer wahrhaft einvernehmlichen Beziehung bist.

Liebe ist nicht ‚echter‘, wenn Menschen füreinander Kompromisse eingehen, nur weil das eben so erwartet wird.

Finde deine grundsätzlichen Werte für eine Beziehung

Wie möchtest du von anderen behandelt werden? Was sind deine grundlegenden Grenzen und Erwartungen in allen Beziehungen? Mit welcher Art von Menschen möchtest du gern dein Leben verbringen und wie wünschst du dir, dass deine Beziehungen ablaufen?

Finde deine wichtigsten Werte und wende sie auf all deine Beziehungen an. Mache keine Sonderregelungen und Ausnahmen, um Menschen zu zeigen, dass du sie ‚wirklich‘ liebst.

Heterosexismus gibt den Ton an, doch lass dich nicht von der Angst leiten

Denke daran, dass hier ein sehr machtvolles, ‚normatives‘ System im Spiel ist, das vorschreibt, was echte Liebe ist und wie Menschen sie leben sollten.

Viele werden dich und die Gültigkeit deiner Beziehungen in Frage stellen, wenn du diese Regeln nicht beachtest. Arbeite mit den Menschen, die du liebst, um Fluchtwege und Tricks da raus zu finden. Um dich gegen die schlimmsten Normen, die Probleme verursachen, zur Wehr zu setzen. Finde positive Wege, um für und nicht gegen etwas zu kämpfen, und lasse deine Beziehungen nicht von Angst bestimmt sein.

Spontanität anstatt Verpflichtung

Frei für Spontanität zu sein – sich ohne Angst vor Strafe oder einem Gefühl von belastenden ‚Solltes‘ ausdrücken zu können – belebt Beziehungen, die auf Beziehungsanarchie beruhen. Handle in dem Wunsch, einander zu begegnen und zu entdecken – nicht in Pflichten und Forderungen oder Enttäuschung, wenn sie nicht erfüllt werden.

‚Fake it til you make it‘

Manchmal fühlt es sich vielleicht so an, als müsstest du ein absoluter Super-Mensch sein, um all das „Durchbrechen“ der Normen zu bewältigen, das notwendig ist, wenn du dich für Beziehungen entscheidest, die von der Norm abweichen.

Ein guter Trick ist die ‚Fake it til’ you make it‘-Strategie: Wenn du dich stark und begeistert fühlst, denke daran, wie du gern handeln würdest. Übersetze das in einige einfache Richtlinien und halte dich an sie, wenn es unbequem wird. Spreche mit anderen, die Normen in Frage stellen, und bitte sie um Unterstützung.

Und werfe es dir niemals vor, wenn der Normdruck so groß ist, dass du so handelst, wie du es nicht wolltest.

Vertrauen ist besser

Sich für die Annahme zu entscheiden, dass dein Partner dir nicht schaden möchte, führt dich auf einen viel positiveren Weg, als der misstrauische Ansatz, bei dem du ständig Bestätigung von den anderen brauchst, um darauf zu vertrauen, dass sie mit dir in einer Beziehung sind.

Manchmal sind die Menschen in ihrem Inneren mit so vielen Dingen beschäftigt, dass ihnen einfach keine Energie mehr bleibt, um auf andere zu zu gehen und für sie da zu sein.

Erschaffe eine Beziehung, in der Rückzug sowohl unterstützt als auch schnell vergeben wird, und gib Menschen viele Möglichkeiten, zu reden, zu erklären, dich zu sehen und verantwortungsvoll in der Beziehung zu sein. Erinnere dich an deine grundlegenden Werte und sorge gleichzeitig für dich selbst!

Veränderung durch Kommunikation

Für die meisten menschlichen Tätigkeiten gibt es irgendeine Art Norm, die vorschreibt, wie es getan werden sollte. Wenn du von diesem Muster abweichen möchtest, musst du kommunizieren – ansonsten folgen die Dinge am Ende wieder der Norm, da andere sich danach verhalten. Kommunikation und gemeinsame Aktionen für Veränderung sind die einzige Möglichkeit, auszubrechen.

Radikale Beziehungen brauchen Gespräche und Kommunikation im Herzen – nicht nur in Krisensituationen, um ‚Probleme‘ zu lösen.

Kommuniziere mit Vertrauen. Wir sind so daran gewöhnt, dass Menschen nie wirklich sagen, was sie denken und fühlen, dass wir zwischen den Zeilen lesen und uns zusammenreimen müssen, was wir wirklich meinen. Doch solche Interpretationen können nur auf vorhergegangenen Erfahrungen aufbauen, die auf den Normen basieren, denen du entkommen willst.

Stellt euch gegenseitig Fragen und drückt euch klar und deutlich aus!

Passe deine Verpflichtungen an deine Bedürfnisse an

Das Leben hätte nicht viel Struktur und Bedeutung, wenn wir uns nicht mit anderen Menschen verbinden würden, um Dinge zu erreichen: Ein gemeinsames Leben aufzubauen, Kinder aufzuziehen, ein Haus zu besitzen oder zusammen durch dick und dünn zu gehen. Solche Unterfangen benötigen in der Regel viel Vertrauen und gegenseitige Verpflichtungen, damit sie gelingen.

Beziehungsanarchie bedeutet nicht, niemals Verpflichtungen einzugehen.

Es bedeutet, seine eigenen Verpflichtungen gegenüber den Menschen in deinem Umfeld zu erstellen. Sie von Normen zu befreien, die bestimmte Arten von Verpflichtungen als eine Voraussetzung für ‚wahre‘ Liebe vorschreiben oder bestimmte Verbindlichkeiten wie das Aufziehen von Kindern und das Zusammenziehen von bestimmten Gefühlen abhängig machen.

Beginne bei Null und drücke klar aus, was für Verpflichtungen, du anderen Menschen gegenüber eingehen möchtest!“

Wie erlebst du deine Beziehung? Wie gestaltest du sie? Was forderst du von deinem Partner ein? Wie kommt ihr beide damit zurecht?

Anstatt uns von unseren Beziehungen überfordert zu fühlen, können wir sie selbst gestalten. Das ist vielleicht anstrengend, aber kostet am Ende sicher weniger Kraft, als sich die ganze Zeit zu verbiegen oder in Angst zu leben, dass die Beziehung zerbricht.

Sei es dir wert.

 

Redaktionelle Anmerkung: Der Text zwischen den Anführungszeichen erschien bereits unter dem Titel „The short instructional manifesto for relationship anarchy“. Ich habe ihn mit freundlicher Genehmigung von Andie Nordgren übersetzt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert