Innenleben

Wörter können wir Kakerlaken sein. Wenn Sie einmal deinen Geist bewohnen, wirst du sie so schnell nicht wieder los.

Ich habe das Glück, dass die Wörter, die mir seit gestern Abend im Kopf herumkrabbeln, angenehmere Gäste sind, als das unschöne Ungeziefer spanischer Straßen.

Mi vida llena, mi alma vacía.

Estoy ardiendo y siento frío.

Mein Leben voll, meine Seele leer. Ich glühe und mir ist kalt.

Ein paar Zeilen aus einem spanischen Rocklied. Der Sänger El Drogas, ein Mann, der mit 58 Jahren noch die Bühne rockt, dabei älter aussieht, als er ist, und in Schottenkaros und Kopftuch gehüllt meinen Freund begeistert.

Als wir gestern ein Bier in unserer Stammkneipe tranken, spielte Jaime mir das Lied vor. Diese Zeilen blieben hängen. Sie fassen perfekt und rührend zusammen, wie ich die meisten Menschen empfinde. Wie ich mich bis vor anderthalb Jahren selbst noch fühlte.

Sie regen sich über Politik auf, schimpfen auf das System, ersticken ihre Gefühle in Alkohol oder Alltagsstress und frieren. Ohne es zu merken.

Manchmal erscheint es mir, als spinne ich. Denn ich habe den Eindruck, ihre Leere, ihre Traurigkeit und ihren Schmerz zu fühlen. Oft mehr als meine eigenen Gefühle. Wie dämlich ist das denn bitte?

Was hilft es ihnen? Und was für eine Last bürdet es mir auf?

Ich versuche nun mithilfe meiner Freundin und NLP-Coach Petra zu lernen, die Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind und ihre Lebensentscheidungen zu respektieren. Mich nicht mit meinem Geist auf ihre Baustellen zu verirren. Mir gesunde Grenzen anzugewöhnen.

Solange ich aber ihre Gefühle wahrnehme – und das tue ich, ob du es mir jetzt glaubst oder nicht – was soll ich dann von ihrem Verhalten halten?

Wie soll ich verstehen, dass die meisten von uns bereit sind, für Tiere zu kämpfen, sich für die Umwelt zu engagieren, sich für ihre Kinder oder Eltern aufzuopfern, aber sich selbst komplett vernachlässigen und beinahe misshandeln, indem sie nie innehalten und sich auf das besinnen, worauf es wirklich ankommt.

Warum darf man eigentlich keine Menschen anzeigen und vor Gericht bringen, die sich selbst so misshandeln wie unser heutiger Otto-Normalverbraucher? Ein Wort, das perfekt zum Ausdruck bringt, wie viele von uns sich ihre eigenen Gefühle bei lebendigem Leib amputieren. Verbrauchen statt fühlen. Meckern, statt leben.

Aufgescheucht rennen die „Menschen“ durch die Gegend, irgendwelchen Träumen wie katalonischer Unabhängigkeit, Reichtum, Gerechtigkeit, Babys, erfolgreichen Blogs oder Schriftstellerkarrieren hinterher, und übersehen, dass sie jetzt schon alles haben, um glücklich zu sein.

Manche von ihnen erreichen ihre Träume und stellen dann glücklicherweise fest, dass sie jetzt auch nicht glücklicher sind als zuvor.

Andere sind da schlauer und machen sich gar nicht erst die Mühe, es zu versuchen. Sie setzen sich bequem vor den Fernseher oder in die Bar und träumen, meckern und verpesten die Luft mit ihren Abgasen der Unzufriedenheit.

Vielleicht sind wir Menschen eben einfach so. Vielleicht ist das das Leben. Vergeudete Zellen. Vergeudeter Atem. Vergeudete Augenblicke.

Jeder Mensch, der wirklich glücklich sein möchte, kann das. Jeder. Es ist eine Entscheidung.

Zugegebenermaßen, eine unbequeme.

Es liegt an dir.

Ich schreibe das hier heute einfach vor mich hin. Mache das Gleiche, wie andere. Ich schreibe mir meinen Frust von der Seele. Denn auch ich bin ein Mensch. Und manchmal ist auch mir einfach mal nur nach meckern.

Wenn ausgerechnet du das nun gerade abbekommen hast, dann hat es vielleicht einen Grund?

Fühl dich liebevoll von mir angeschnauzt, falls auch du deine Seele erfrieren lässt, obwohl in dir das glühende Leben pulsiert.

Mach was draus. Liebe deine Zellen, deinen Atem. Widme dich deiner Seele, oder was auch immer du dafür hältst, und deinen Gefühlen. Das kann dir kein Politiker, System oder anderer, dem du gern die Schuld für deine Unzufriedenheit in die Schuhe schiebst, abnehmen.

Am Ende macht bewusstes Meckern viel mehr Spaß als unbewusstes.

Sei es dir wert.

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