Die Illusion

Ich habe neuerdings eine Mastermind-Gruppe. Ab und zu treffen wir uns auf Skype und brainstormen zu unseren Blog- und Schreib-Projekten.

Heute kamen wir auf das Thema Marketing. Es ist uns allen ein Dorn im Auge. Ein Faktor, den wir am Bloggen nicht mögen. Für unser nächstes Treffen wollen wir nach Lösungen suchen.

Ich klappe den Laptop zu und ziehe mir meine rosa Laufschuhe und Jaimes XL-Bomberjacke über, um in der Abenddämmerung noch schnell zum Gemüseladen zu gehen und von dort aus zum Meer ein wenig spazieren und herumsitzen.

Ich lege meinen Stoffbeutel mit frischen Tomaten, Avocado und Landeiern neben mich auf die zersprungenen Felsen und setze mich vor eine kleine Mauer, an die ich mich anlehnen kann.

Während das schwarze Wasser in rhythmischen Wogen an die Felsen vor mir klatscht und der Himmel sich mit Sternen füllt, genieße ich den Blick in die dunkle Ferne und die milde Oktobernachtluft.

Der äußere Frieden gibt meinen Gedanken den Raum, sich auszutoben.

Mein Gespräch mit Paul, Bettina und Andreas brachte meinen Kopf zum Brodeln. Ich mache mir Gedanken über das Marketing für unsere Blogs. Darüber, wo es mit unseren Blogs und Projekten hingehen soll.

So komme ich vom einen zum anderen und stelle wieder einmal fest, dass es keine Ziele zu erreichen gibt.

Wir müssen nichts erreichen.

Es macht keinen Unterschied. Weder für uns selbst, noch für andere. Zumindest nicht den Unterschied, den wir uns erhoffen.

Natürlich lassen unsere Projekte und Ziele uns wachsen und können das Leben anderer Menschen bereichern. Das tun sie aber unabhängig von der Tatsache, ob wir damit erfolgreich, wohlhabend und/oder bekannt werden. Ob wir davon irgendwann leben können oder nicht.

Wir erhoffen uns, dass wir irgendwann durch einen „Durchbruch“ oder irgendein Ereignis, das wir Erfolg nennen, wie zum Beispiel ein stabiles finanzielles Standbein durch den Blog und unsere Leidenschaft, glücklicher werden. Irgendwo ankommen. Das Leben dann mehr genießen können.

Wirklich, Elisa? Hast du nicht inzwischen oft genug erlebt, das das nicht so ist? Ja. Und dennoch tappe ich ab und zu kurzweilig immer mal wieder in diese Falle der Illusion.

Wir können später nicht glücklicher sein, als wir es jetzt schon sein können.

Zunächst klingt das etwas deprimierend. Doch in Wahrheit ist das eine großartige Neuigkeit. Denn es heißt, dass wir spielerisch einfach die Dinge angehen können, die uns Spaß machen. Wenn Marketing-Technik-Kram wie Facebook- oder Google-Werbung und SEO uns nicht begeistern, dann können wir sie einfach sein lassen.

Natürlich können wir trotzdem freudvoll an der Bekanntheit unserer Blogs arbeiten, denn es stimmt, dass auch die Arbeit daran, und das Feedback von Menschen, Freude machen. Aber nur, wenn wir sie auf eine Weise erreichen, mit der wir uns wohlfühlen.

Ich kann mir zum Beispiel gut vorstellen, Geld in einen super Facebook- und Google-Experten zu investieren. Wie viel? Keine Ahnung. Ich müsste den Menschen kennenlernen und dann lasse ich mein Bauchgefühl entscheiden.

Ich kann herumexperimentieren.

Wenn ich von der Idee loslasse, dass die Bekanntheit meines Blogs mich irgendwann glücklich machen wird, bin ich wieder frei für das Hier und Jetzt. Dann fühlt es sich wieder stimmig für mich an. Ich erkenne und genieße wieder, wie das langsame Wachstum, die Arbeit an meinem Blog, die Planung meiner Bücher und das Malen meiner Bilder, mich schon jetzt glücklich machen.

Ich lebe.

Wir sind daran gewöhnt, uns vom Leben in unsere Gedanken und Zukunftspläne zu flüchten.

Das macht viele von uns so unglücklich und verzweifelt.

Neulich las ich einen älteren Artikel von mir und entdeckte darin einen Satz, von dem ich überrascht war, dass ich ihn selbst geschrieben hatte.

„Äußerer Frieden kann erst entstehen, wenn im Inneren eines jeden Menschen Frieden herrscht.“

Es ist so offensichtlich und dennoch wünsche ich mir oft, dass der Weltfrieden in greifbare Nähe rückt, dass wir einfach aufhören, Krieg zu führen. Wunschdenken.

Die Menschen sind weit davon entfernt, im Frieden leben zu können. Krieg führen und mit Politik und Hilfsorganisationen die Weltprobleme lösen zu wollen, ist wie bei Krankheiten Pillen zu schlucken.

Es hilft kurzfristig und eine Zeit lang. Doch es bekämpft nur die Symptome und nicht die Ursache der Krankheit.

Bis jeder Mensch den Mut aufbringt, sich auf sein Inneres zu konzentrieren, sich selbst kennenzulernen, alte, schädliche Gedankenmuster in Frage zu stellen und sich selbst mit viel Arbeit und Konzentration umzuprogrammieren, werden wohl noch Jahrtausende ins Land ziehen.

Zum Trost, stelle ich mir die Menschheit von Anbeginn vor. Die Menschheitsgeschichte im Schnelldurchlauf.

Erst wilde „Tiere“, die lernen, besser zu überleben als andere, da sie sich gegen die Gewalt der Natur zu schützen lernen, indem sie Häuser bauen, sesshaft werden und ihr eigenes Essen anbauen.

Doch sie sind noch immer wild, morden und vergewaltigen ohne jegliche Strafe. Also kommen die Religionen, die Zivilisation und dämmen die „Schattenseite“ der Menschheit ein, so dass ein Zusammenleben möglich ist.

Die wilde Seite leben sie nun aus, indem sie sich in größeren Gruppen bekriegen, vielleicht auch mit dem ein oder anderen Ehekrach. Aber nicht mehr unwillkürlich in den eigenen Reihen. Statt Mord und Totschlag zwischen Individuen, nun ab und zu Krieg zwischen immer größer werdenden Menschengruppen: Familien, Ländern, Religionen, Länderbündnissen …

Irgendwann stellen die Menschen fest, dass sie von den Mächtigen der Religion an der Nase herumgeführt werden und befreien sich aus dieser Manipulation. Sie beginnen, selbst nachzudenken.

Die Ära der individuellen Entfaltung beginnt. Frauen werden langsam gleichberechtigt, Menschen heiraten, wen sie möchten oder gar nicht, gestalten ihr Leben nach den eigenen Vorstellungen und leben in den fortschrittlichsten Ländern dieser Entwicklung zum Großteil in einem gewissen Wohlstand.

Da sind wir nun angelangt. In meiner Vorstellung entwickeln wir uns als Menschheit sichtbar und beständig weiter. So schrecklich uns vieles heute erscheinen mag, so wenig möchte ich lieber in einer früheren Zeit leben.

Jede Generation und Epoche hat ihre Herausforderungen und schrecklichen Tatsachen, denen sie ins Auge blicken muss und an denen sie wachsen kann oder auch nicht.

Wir haben Umweltprobleme, unsere Großeltern hatten Weltkriege und strenge Moralvorstellungen, mit denen sie zurechtkommen mussten.

Ob wir nun schwarzmalen wollen, alles schönreden oder irgendwas dazwischen, ist dabei irgendwie egal.

Das einzig Sinnvolle ist, unser Leben und die Welt so anzunehmen, wie sie jetzt sind und das zu tun, was uns Freude bereitet. Interessanterweise ist dies für viele, daran zu arbeiten, dass die Zustände sich bessern. Die Umwelt zu schützen. Leidenden Menschen zu helfen. Unsere Menschheit weiter wachsen zu lassen.

Jeder kann das frei für sich entscheiden. Denn es geht sowieso nirgendwohin, wir haben kein Ziel. Es geht irgendwie immer weiter. Bis wir irgendwann als Spezies aussterben. Und selbst dann. Wer weiß schon, was dann kommt? Das Leben geht immer weiter.

Doch nehmen wir an, wir schaffen den Sprung und wachen alle auf, freunden uns mit uns selbst an und genießen weltweiten Frieden als Folge … selbst dann wird es noch immer irgendetwas geben, was die Würze in unser Leben bringt.

Einen neuen Zustand, der für Leid und Unzufriedenheit sorgt, und uns dazu zwingt, als Menschheit weiter zu wachsen. Zu welchem Zweck auch immer …

Tatsache ist: Wir wissen es nicht.

Wir wissen nicht, was wir hier eigentlich sollen. Unsere ganze Existenz ist absolut absurd und wenn sie ein höheres Ziel verfolgen sollte, so kennen wir es nicht.

Was uns übrig bleibt ist, zu erkennen, dass das Einzige was Sinn macht, ist, uns eine schöne Zeit zu machen. Und herauszufinden, was uns eine schöne Zeit beschert. Anzunehmen, dass nichts uns für immer oder endgültig eine schöne Zeit machen kann, sondern diese immer wieder von unangenehmen Phasen unterbrochen werden wird, die uns wachsen lassen.

Wozu das ganze Wachstum, wenn wir am Ende doch immer sterben? Ich weiß es nicht.

Unser Einzelwachstum trägt zum Wachstum der Menschheit bei, ich denke, soweit kann ich mich aus dem Fenster lehnen. Wozu das Wachstum der Menschheit? Ich habe keine Ahnung.

Keiner kann das wissen und jeder kann glauben, was er mag.

Wir müssen uns darin auch nicht einig sein. Also leg dir das Weltbild zu, das dir gefällt.

Warum geben sich die meisten mit einem Weltbild zufrieden, dass ihnen Angst macht und schlaflose Nächte bereitet?

Mein Weltbild hilft mir, mich als einen kleinen Teil dieser Erde zu sehen, der mit ihr verbunden ist. Alles ist so, wie es ist. Ich muss es nicht verstehen. Meine Aufgabe ist es, meiner Freude zu folgen. Mein Leben hier so angenehm wie möglich zu machen. Meine Gefühle helfen mir dabei, herauszufinden, was ich dafür brauche.

Denn angenehm heißt nicht gleich bequem! Achtung! Bequemlichkeit kann sehr unglücklich machen.

Finde für dich heraus, was dir Freude bereitet, jeden Tag aufs Neue.

Ziele können uns Freude bereiten. Sie können aber auch das Gegenteil tun und in Stress ausarten, wenn es nicht die richtigen Ziele sind oder wenn wir sie überbewerten. Wenn wir glauben, dass es endgültige Ziele wären.

Wenn wir wissen, dass jedes Ziel nur ein kleines Zwischenziel ist, das uns mal kurz einen Kick verleiht, dann können wir auch entspannter darauf zusteuern und den Weg, der wesentlich längere Freude bereitet, mehr genießen.

Endlich kriegen meine Gedanken die Kurve. Sie beruhigen sich. Ich besinne mich auf das Wesentliche. Das bewusste Erleben meiner Lebenszeit. Egal, was ich letztendlich daraus mache.

Ich möchte spielen. Wenn wir Mensch ärgere dich nicht spielen haben wir Freude daran. Wir möchten zwar gewinnen, aber empfinden das Spiel nicht als sinnlos, wenn wir verlieren. Wir stellen den Sinn des Spiels auch nicht in Frage. Wir spielen einfach. Einer gewinnt, andere verlieren. Alle lachen und sind lebendig dabei. Nächste Runde.

Mein Po tut inzwischen etwas weh vom langen Sitzen auf den Felsen. Ich erhebe mich, lasse den Blick über das dunkle, sanft aufgewühlte Wasser bis in den sternenbesetzten Himmel gleiten. Noch ein tiefer Atemzug und meine rosa Laufschuhe setzen sich mit einem tapsenden Geräusch auf den Steinplatten in Gang.

Den Nachhauseweg durch die Straßen genieße ich ebenso, wie das Sitzen am Wasser, das Lauschen meiner Gedanken und das Schreiben dieser Worte für dich.

Darauf kommt es an.

Sei es dir wert.

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