Die Kurzgeschichte

Soeben flatterte eine E-Mail ins Postfach.

Vom Gautinger Literaturwettbewerb. Zu Übungszwecken für meinen Roman habe ich beschlossen, an Literaturwettbewerben teilzunehmen. Literatur. Das klingt irgendwie anders als Blog. Darf ich schon in dieser Liga mitspielen?

Ich habe beschlossen, dass ich es darf. Natürlich wusste ich, dass meine Chancen mehr als gering sind. Schließlich habe ich meine erste Kurzgeschichte eingereicht, die ich seit der Kindheit verfasst habe.

Meine Lektorin hatte mich vorgewarnt. Sie sagte, Elisa, auch wenn du nicht damit rechnest zu gewinnen, hoffst du es doch insgeheim und eine Absage könnte wehtun.

Sie hatte Recht. Es fühlt sich irgendwie eklig an. Nimmt ein wenig Wind aus den Segeln.

Seitdem ich die Mail las, beobachte ich nun neugierig, was ich fühle und versuche meinen Verstand zu bremsen, der die Gefühle gar nicht zulassen will und sie mit all seinen Argumenten bombardiert, dass es ja gar nicht so schlimm sei und so weiter und so fort.

Was mich nun tatsächlich tröstet, ist eine Art Gewissheit. Die Gewissheit, dass ich trotzdem weiterschreiben werde. Ich werde auch wieder bei Literaturwettbewerben teilnehmen. Denn sie bieten mir die nötige Übung, um das zu lernen, was mir schon jetzt so gut tut.

Natürlich wünsche ich mir auch Anerkennung und träume von Preisen und Aufmerksamkeit. Gleichzeitig sagen mir meine Gefühle eindeutig, dass diese Anerkennung und Preise mich niemals glücklicher machen werden, als ich es jetzt schon bin. Das Wachstum an sich macht mich glücklich. Und Enttäuschungen, also Schmerz, führen immer zu Wachstum.

Damit meine Kurzgeschichte über Europa – das vorgegebene Thema des Wettbewerbs – sich nicht grämt, veröffentliche ich sie jetzt einfach hier auf Flohbair. Dazu ist der Blog ja schließlich da.

Ich wünsche dir viel Freude beim Lesen und vor allem bei deinem eigenen Wachstum!

Sei es dir wert.

***

Europa, wo bist du?

Als Bürger in Paris aus dem TGV steigt, rennen die Menschenmassen mit ihren nervigen Rollkoffern ihn fast um. Er zieht den Reißverschluss seiner Windjacke bis oben zu und steckt die Hände in die Taschen, lässt sich von dem Strom mitziehen. Erst einmal irgendwo eine heiße Tasse Kaffee trinken. Ohne seinen Kaffee ist er zu nichts zu gebrauchen. Bürger betritt das schmuddelige Bahnhofscafé und sieht sich um. Er geht direkt zur Theke, hinter der die müde Kellnerin ihn gleichgültig anschaut.

„Un café, s’il vous plaît.“

Dafür reicht sein Schulfranzösisch gerade noch. Die Frau hinter der Bar stellt ihm einen Espresso hin. Ach Mist. Diese Franzosen. Haben die keinen normalen Kaffee? Genervt trinkt er die Tasse in einem Schluck aus, knallt zwei Euro auf den Tresen und geht. Ziellos durch die Stadt. Ohne einen blassen Schimmer, was er hier eigentlich soll. Er ist überrascht vom Charme, den die Pariser Straßen und Gassen auch bei diesem Mistwetter versprühen. Er fühlt sich wohl, genießt den Spaziergang. Lange Zeit folgt er einem Kanal, der links und rechts von noch kahlen Bäumen gesäumt wird, die langsam Knospen zeigen. Zu beiden Seiten des Wassers alte Wohnhäuser mit kleinen Geschäften und Cafés. Ab und zu eine Brücke. Er lässt sich treiben und genießt die frische Luft in seinem Gesicht. Dieser Fall scheint irgendwie anders zu sein als seine anderen Fälle.

Gestern erhielt er die Nachricht von ihrem angeblichen Verschwinden. Ein anonymer Anrufer lockte ihn auf die Fährte. Er hat keine Ahnung, wer sie ist und wie sie aussieht. Europa. Ein ungewöhnlicher Name. Er klingt nach Schönheit. Bürger verließ sich wie immer auf sein Bauchgefühl. Das schickte ihn nach Paris. Leider hatte sein Bauchgefühl nicht daran gedacht, dass es in Frankreich keinen ordentlichen Kaffee gibt. Und ohne seinen Kaffee ist er unausstehlich. Dieser Mini-Espresso. So was kann auch nur ein Franzose oder ein Italiener trinken. Stundenlang an einem Fingerhut nippen. Nein danke. Er schaut sich um. Inzwischen steht er mitten auf einem riesigen Platz mit einer beeindruckenden Statue. Eine Frau, die majestätisch einen Olivenkranz in die Höhe hält. Um diesen Platz herum Autos, Fahrräder, Scooter. Krach. Ein Penner mit einer Aldi-Tüte auf einer Bank. Bürger geht auf ihn zu und setzt sich zu ihm. „Bongschur.“

Ohne aufzusehen sagt der Penner in fließendem Deutsch:

„Ich habe auf dich gewartet. Wir müssen sie finden. Zu uns zurückholen.“

„Europa?“

„Nein, die Original Spreewaldgurke“, entgegnet der nach Billigbier riechende Mann neben ihm patzig. „Natürlich Europa. Ich weiß ja, dass du etwas begriffsstutzig sein kannst, aber du hast dein Bauchgefühl. Nutze es. Bevor es zu spät ist. Jedes Mal, wenn sie verschwindet, brechen Krieg und Verderben aus. Ich dachte, die Menschen hätten gelernt, doch sie haben es zugelassen, dass sie wieder entführt wird. Nicht genug aufgepasst.“

„Du weißt also, wer es war?“

„Das ist offensichtlich. Ich weiß aber nicht, wo sie sie versteckt haben. Nur du kannst sie finden. Mach dich auf den Weg.“

Bürger versteht nur Bahnhof. Wie immer. Er braucht Menschen wie diesen Penner, die ihm sagen, wo es langgeht, sonst hätte er nie auch nur einen einzigen Fall gelöst. Vielleicht wird es jetzt endlich Zeit, dass er selbst anfängt, an sich zu glauben. Er hat langsam die Schnauze voll davon, sich von anderen sagen zu lassen, was er tun soll und wozu er fähig ist.

„Hier hast du ein Flugticket.“

„Was? Ich bin doch gerade erst angekommen.“

„Du hast nicht viel Zeit. Nimm die Metro nach Denfert-Rochereau und von dort den Orlybus zum Flughafen. Etwas Sonne wird dir guttun.“

„Sonne?“ Er sieht auf das Flugticket: Mallorca. Was sollte er denn jetzt bitte auf Mallorca? Er war noch nie dort und sein Eindruck aus dem deutschen Fernsehen macht ihm nicht viel Lust auf diese Insel und ihren Ballermann.

„Beeil dich. Sonst verpasst du noch den Flieger.“

Bürger steht auf und geht zum nächsten Metroeingang. Was sollte dieser Kurzaufenthalt in Paris? Hätte er nicht gleich von Deutschland aus nach Mallorca fliegen können?

Er zuckt mit den Schultern. Die Absurdität seiner Fälle sollte ihm doch inzwischen vertraut sein. Sie folgen keiner Logik, und sie lassen sich auch nicht mit dem Verstand begreifen. Aufgeklärt hat er sie nie dank seinem Verstand. Der war stets völlig überfordert, analysierte vor sich hin und kam doch zu keinem Ergebnis. Seitdem lässt Bürger sich einfach leiten, von innen heraus. Oder so.

Als der Flieger mallorquinischen Boden berührt, schießen Bürger plötzlich Tränen in die Augen. Anscheinend dreht er nun völlig durch. Was ist das jetzt wieder für ein komisches Gefühl, das da in ihm aufsteigt? Seine innere Stimme flüstert: „Du bist endlich zu Hause.“ Wärme und Entspannung machen sich in ihm breit. Hier will er nicht mehr weg. Er kann es sich nicht erklären. Er hat noch nicht einmal den Flieger verlassen, und die Sonne scheint auch nicht. Als er das zu dieser Jahreszeit noch sehr leere Flughafengebäude verlässt, bleibt er stehen und betrachtet die großen Palmen, die bei dem stürmischen Wind und dem grauen Himmel als einzige den Süden verkünden. Eine unbeschreibliche Ruhe umgibt ihn.

„Hola, Señor Burger.“

Ein Mann tritt auf ihn zu. Bürger überrascht heute nichts mehr. Er weiß nicht, wer dafür sorgt, dass die Menschen, die ihm helfen können, seinen Weg kreuzen, aber er hat inzwischen gelernt, diese scheinbaren Zufälle – die er gern als Fügung bezeichnet – anzunehmen. Ohne sich und dem Mann weitere Fragen zu stellen, folgt er ihm.

Sie gehen zu einem eleganten, schwarzen Auto, das Bürger vorkommt wie eine dieser geheimnisvollen Limousinen aus Agenten-Thrillern. Als er schon im Auto Platz genommen hat und der Fremde auf die Autobahn fährt, überkommen Bürger plötzlich Zweifel. Was, wenn dieser Typ ihn jetzt irgendwohin schleppt und einfach kaltmacht? Was, wenn sein Bauchgefühl diesmal gepennt hat und ihn nicht warnt, wenn es brenzlig wird?

Vierzig Minuten später halten sie in einem winzigen Örtchen am Ende einer von Pinienwald gesäumten Straße. Der Mann deutet Bürger auszusteigen und zeigt in eine Richtung. Ein Sandweg. Links stehen ein paar Häuser. Er geht an ihnen vorbei. Riecht die salzige Luft, gemischt mit dem Duft der Pinien. Vor ihm erscheint nach und nach türkisblaues Wasser. Das Meer. Wieder fühlt er, wie sein Brustkorb sich mit Wärme füllt. All diese Schönheit, die er heute gesehen und gespürt hat. Selbst das graue Wetter kann diese nicht trüben. Am Ende des Sandweges hält er vor einem einsamen Haus auf einem Felsen direkt am Meer. Die Tür steht offen. Er tritt ein.

„Hallo? Ist hier jemand?“ Seine Stimme verliert sich im Raum. Ein Windhauch streichelt sein nicht mehr ganz so volles Haar. Er geht den Flur entlang und erreicht ein spärlich eingerichtetes Zimmer mit alten Möbeln und Porträts an den Wänden. Vergilbte, eingerahmte Fotos von Menschen vergangener Zeiten. Die Fenster stehen offen und die weißen Vorhänge wehen im Durchzug. Da sitzt sie. Eine zarte Gestalt auf einem wackligen Holzstuhl am Fenster. Umgeben von einer geheimnisvollen, hellen Aura, die Bürger blendet.

„Endlich hast du mich gefunden. Ich warte schon so lange auf dich.“

Typisch Frau. Erstmal ein Vorwurf. Kein Danke oder so.

„Man hat mich erst gestern über dein Verschwinden informiert. So lange kannst du also nicht gewartet haben“, entgegnet er, während er sich die Hand über die Augen hält, um sie klarer zu sehen. „Ich dachte, du seist in Gefahr?“

„Ich bin in Gefahr. Einige Leute sind dabei, mich zu zerstören. Sie hetzen alle gegen mich auf. Sprechen von mir, als sei ich ein abstraktes Gebilde. Doch ich bestehe aus menschlichem Gewebe. Bitte Bürger, bleib bei mir und beschütze mich. Glaube nicht, was sie dir über mich sagen und höre auf dein Herz. Du bist ich. Solange du mich siehst und liebst, sind wir beide gerettet. Ich gebe dir Frieden, Sicherheit, Schönheit, Vielfalt und ein Zuhause. Und du gibst mir deine Liebe.“

Seine Liebe? Er kennt sie doch kaum. Und doch ist sie ihm so vertraut. Irgendwie anders als die anderen. Was für ein merkwürdiger Fall. Er braucht erst einmal einen Kaffee. Vielleicht können die hier in Spanien ordentlichen Kaffee machen. Er lässt Europa im Durchzug sitzen und geht zurück zur Straße. Da hatte er ein kleines Café gesehen.

„Un cafe, por favor.“ Er ist von sich selbst überrascht. Ein richtiges Sprachtalent. Er weiß nicht einmal, woher er diese Spanischbrocken hat. Vielleicht aus den Mallorca-Sendungen im Fernsehen aufgeschnappt?

„Un cafe solo, señor?“

Bürger nickt. Nur einen Kaffee, ja. Während der Kellner die Kaffeemaschine bedient und das laute Zischen ihm endlich seinen wohlverdienten Kaffee verkündet, dreht er sich um. Durch das Fenster sieht er in der Ferne das Haus, in dem die schöne Unbekannte sitzt, die ihm doch so vertraut ist. Er weiß nicht, was er machen soll. Am besten, er überlässt die Entscheidung seinem Herz. Das wird schon wissen, was zu tun ist. Wie immer. Als er sich zur Theke zurückdreht, steht ein Espresso vor seiner Nase.

„Nicht schon wieder.“

Er kippt das Zeug runter und geht zu Europa zurück. Vielleicht kann sie ihm sagen, wie man hier einen großen, schwarzen Kaffee bestellt? Denn ohne seinen Kaffee ist er zu nichts zu gebrauchen.

2 Kommentare, sei der nächste!

  1. Hey Elisa,
    mir gefällt deine Kurzgeschichte. Sie ist prägnant und eingehend geschrieben. Ich kann mir Bürger ganz genau vorstellen und sehe wie er durch die Straßen von Paris wandelt. Ich mag die kurzen Sätze, die die Situation, Gedanken und Gefühle beschreiben. Nur der Inhalt ist etwas „flach“ ;-). Es passiert nicht wirklich etwas und am Ende ist der/die LeserIn genau so schlau, wie am Anfang.

    Ich denke, wenn man über ein Thema schreibt, welches einem am Herzen liegt, hat man sicher mehr zu schreiben, als wenn einem ein Thema zugewiesen wird.

    Dein Schreibstil ist empathisch. Du bist eine gute Schriftstellerin. Weiter so.

    Ich drücke dir die Daumen

    LG Honigblume

  2. Ach Honigblume,

    ich freue mich immer sehr über deine Kommentare.

    Ich finde es sehr interessant, dass dir die Geschichte flach erscheint und es wirkt, als läge mir das Thema nicht so sehr am Herzen. Du hast natürlich recht. Ohne dieses Thema zugewiesen zu bekommen, hätte ich wahrscheinlich nicht darüber geschrieben, da ich eigentlich sehr viel dazu zu sagen habe und bisher zu faul war, diese Gedanken zur ordnen und zu filtern.

    Ich fühle mich nämlich vor allem als Europäerin und habe Flohbair zunächst in vier Sprachen gestartet, um alle Europäer, deren Sprache ich spreche, zu erreichen und ihnen zu zeigen, dass wir uns doch so ähnlich sind und tatsächlich eine schöne Gemeinschaft bilden, wenn wir uns als Menschen auch begegnen und nicht immer nur über das „politische Konstrukt Europa“ sprechen.

    Das sollte die Geschichte eigentlich zum Ausdruck bringen. Dass wir uns Menschen begegnen, indem wir reisen, auf unser Herz hören, uns über unsere unterschiedlichen Sitten aufregen und amüsieren (zum Beispiel in Bezug auf Kaffee: jedes Land glaubt, es hätte den besten Kaffee und das beste Brot, zumindest nach meinen Freundeskreisen zu urteilen, haha), dass wir verstehen, dass wir Europa sind. Das offene Ende steht dafür, dass ich nicht weiß, ob wir Europäer uns am Ende verrückt machen lassen von Faktoren wie Wirtschaftswachstum und besser oder schlechter im Vergleich zu früher. Für mich zählt, dass wir endlich Frieden in Europa haben und uns den nicht wieder kaputt machen lassen dürfen.

    Naja, es ist eben auch eine Kurzgeschichte. Vielleicht schreibe ich ja auch mal ein Buch zum Thema Europa, haha. Da kann ich dann alle meine Empfindungen reinpacken. Das wird dann natürlich keine Wirtschafts-, Politik- oder Gesellschaftsanalyse, sondern eher ein Erlebnisbericht einer Europäerin, doch das ist für viele von uns vielleicht anschaulicher.

    Danke für dein Feedback!!! Das hilft mir sehr weiter!!
    Herzlichst,
    Elisa :)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert