Deshalb solltest du noch heute deine Grabrede schreiben

Da sitze ich nun.

Es ist ein schöner Nachmittag. Draußen scheint die Sonne. Die Vögel zwitschern, die Menschen laufen unten auf der Straße und lachen und ich nehme mir vor, meine Grabrede zu schreiben.

Was stimmt eigentlich nicht mit mir?? Habe ich sie noch alle?

Ich habe nicht vor, demnächst zu sterben.

Darauf ist die Übung auch ausgelegt. Die Grabrede für dein Wunsch-Ich in ferner Zukunft zu schreiben. Indem du dir vorstellst, dass du das Leben gelebt hast, das du dir wünschst.

Ich fand diese Übung in dem Buch „Werde ver-rückt“ von Veit Lindau, das ich demnächst noch genauer vorstellen werde.

Es fällt mir viel schwerer als ich dachte, diese bescheuerte Rede zu schreiben.

Warum ist es so schwer?

Und warum machen das in letzter Zeit so viele Menschen, mit denen ich ins Gespräch komme?

Inzwischen sind zwei Tage vergangen und ich habe die Rede noch immer nicht geschrieben.

Ich kann mich einfach nicht festlegen, welches Leben ich bis zu meinem Tod gelebt haben möchte. Was ich bis dahin erreicht haben möchte.

Ich weiß noch nicht einmal, ob ich überhaupt alt werden möchte.

Als ich heute an der frischen Meeresluft spazieren ging und über diesen Artikel grübelte, stieg ein Gedanke in mir auf:

Jeder Mensch braucht eine Aufgabe.

Egal, wie groß oder klein sie ist. Sie macht den Sinn des Lebens aus.

Wenn uns nun kein Mensch oder Zwang eine Aufgabe vorgibt, dann sind wir erst einmal verloren und überfordert, weshalb vielleicht so viele Menschen doch lieber im Hamsterrad weitermachen, denn sie haben instinktiv Angst, ins Leere zu fallen.

Lieber eine Aufgabe über die man nicht weiter nachdenkt, als gar keine.

Ich kann mir gut vorstellen, dass das Fehlen einer Lebensaufgabe einer der Hauptgründe dafür ist, dass viele Menschen sich heutzutage so leer und depressiv fühlen.

Warum sich so viele bis zum Burnout überarbeiten.

Die meisten Jobs im Großunternehmen und auch ein angesagtes Leben als digitaler Nomade sind an sich keine Lebensaufgaben.

Viele von uns rennen irgendeinem Glück hinterher, ohne sich jedoch zu fragen, ob es wirklich IHR Traum ist oder ob sie einfach glauben, es würde sie glücklich machen, weil es ihnen so weisgemacht wird oder weil es andere glücklich macht.

So ging es mir lange mit dem Reisen.

Bei jeder Reise war ich irgendwie enttäuscht, dass das erhoffte Glücksgefühl ausblieb.

Ich fand es irgendwie oberflächlich. Und das war es auch, da ich ja nur reiste, weil es eben anscheinend ein tolles Leben bedeutete, aber nicht, weil mich die Länder so faszinierten.

Nun glaube ich davon zu träumen, einmal eine berühmte Malerin und Schriftstellerin zu werden, die in den Menschen und der Welt etwas bewegt. Die ihre Mitmenschen mit Humor, Liebe und Frieden aus ihrem leeren Leben „im System“ wachrüttelt und dafür viel Anerkennung und Dankbarkeit erhält.

Doch dann stelle ich wieder fest, dass ich doch jetzt schon glücklich bin, weil ich jetzt schreibe.

Jetzt male.

Jetzt eine äußerst lebendige Beziehung erlebe, die nie langweilig wird.

Jetzt interessante neue Freundschaften auf Mallorca schließe.

Jetzt die wahnsinnige Liebe von meinen Freunden und meiner Familie in Frankreich und Deutschland spüre und genieße.

Jetzt schon dankbare E-Mails von Flohbair-Lesern erhalte, die mir das wunderbare Gefühl geben, nützlich zu sein.

Dann ist mir auf einmal egal, ob ich mal berühmt werde.

Vielleicht hilft es, sich erst einmal zu fragen, wie man sich fühlen möchte? Friedlich, nützlich, gelassen, frei?

Meine Grabrede ist nun zwar noch immer nicht fertig und ich weiß auch noch nicht, ob und wann ich sie schreiben werde.

Aber allein all die Überlegungen dazu haben mir gezeigt, was ich als meine Aufgabe empfinde und welch großen Einfluss das auf mein tägliches Befinden hat.

Ich sehe es nun glasklar vor mir:

Ich möchte mich selbst und andere Menschen zu Selbstliebe, authentischen Beziehungen, Liebe, Verständnis und Schönheit inspirieren.

Ganz einfach.

Im Alltag.

Jeden Tag aufs Neue.

Das macht mich glücklich, wenn ich es tue.

Dies nun so zu erkennen ist wirklich ein schönes Gefühl. Es befreit mich von dem Druck, unbedingt „Erfolg“ im materiellen und weltlichen Sinn haben zu müssen. Wenn es passiert, ist es vielleicht ganz interessant und spannend. Wenn nicht, vielleicht auch? Es ist nicht der Hauptfaktor, wie ich nun erkannt habe.

Klarheit ist ein so wichtiges Element für unser Lebensglück.

Warum schreibst du nicht eine Grabrede für den Menschen, der du am Ende deines Lebens gewesen sein möchtest, um herauszufinden, was du tief in dir wirklich als deine Aufgabe empfindest?

Sei es dir wert.

4 Kommentare, sei der nächste!

  1. Liebe Elisa,

    danke für deinen Beitrag, er hat mich inspiriert und zum Nachdenken angeregt.

    Ich habe mich pseudophilosophisch gefragt:

    „Warum etwas sein wollen, wenn ich schon bin?“
    „Warum ein Wunsch-Ich sein wollen und nicht einfach nur sein?“

    Ich finde, wenn man sich bewusst und zutiefst selbst mag (das tun leider nur die wenigsten), und das Leben im Ganzen und im Jetzt bereits wertschätzt (so wie du im letzten Drittel geschrieben hast), erfährt man aus Lust (!) was man im Leben machen will und wie man sein Leben führen möchte.

    Nicht weil es eine Aufgabe ist oder dem eigenen Leben einen Mittel-zum-Zweck-Sinn gibt, sondern weil es sich gut und richtig anfühlt.

    „Ich möchte nicht sein, denn ich bin.“

    Liebe Grüße,
    Orkan

  2. Lieber Orkan,

    ich komme da ehrlich gesagt oft durcheinander, wie man vielleicht auch im Artikel merkt.

    Ich glaube, es gibt irgendwie zwei Ebenen. Die Grundlage ist es, im Hier und Jetzt zu SEIN.

    Die zweite Ebene, die etwas darüber liegt und vielleicht einfach eher auf das „fassbare“ Leben mit unserem Ego bezogen ist, erfordert Wachstum.

    Beide Ebenen gleichzeitig zu kultivieren ist vielleicht die Kunst des erfreulichen Lebens?

    Ich glaube, ich brauche beide Ebenen zum „Glücklichsein“. Aber sie müssen eben Hand in Hand gehen. Dann stelle ich mir das sehr bereichernd und spannend vor, sich in der „materiellen Welt“ rumzutümmeln und zu versuchen, „etwas zu erreichen“, das sich wie du es sagst richtig anfühlt. :)

  3. Ich finde jetzt nicht unbedingt, dass du da etwas durcheinander bringst. Was mich allerdings etwas verwirrt ist deine gedankliche „Argumentationslinie“:

    Du machst die wundervolle Erfahrung und schreibst: „Doch dann stelle ich wieder fest, dass ich doch jetzt schon glücklich bin, weil ich jetzt schreibe.“
    Und weiter unten: „Dann ist mir auf einmal egal, ob ich mal berühmt werde.“

    Der schönste Part in deinem Text handelt also von deinem Selbst, und zwar im Hier und Jetzt, doch zum Schluss machst du wieder die Rückführung zur Grabrede, also zu deinem Wunsch-Ich.

    Eigentlich müsste man meinen, dass du zur Erkenntnis kommst, dass das Hier und Jetzt von absoluter Bedeutung für die innere Klarheit und für das Lebensglück ist und nicht ein gedankliches (Fehl!?)Konstrukt von einem zukünftigen Ideal.

    Das tust du aber nicht und ich frage mich (und dich) warum? :-)

    Und da ich dich gerne besser verstehen möchte, zwei weitere (inspirierende!?) Fragen: Was ist für dich eigentlich das Ego, und warum FORDERT es Wachstum?

    Beste Grüße

  4. Lieber Orkan,

    nach einer Woche Fasten im Kloster hoffe ich nun, etwas Klarheit im Köpfchen zu haben, um auf deine Fragen zu antworten:

    1) Warum ich nicht zur Erkenntnis komme, dass das Hier und Jetzt von absoluter Bedeutung für das Lebensglück ist?

    Wenn nur das Hier und Jetzt reichen, wozu gehen wir dann zur Schule? Es liegt in unserer Natur und in der Natur des Lebens, dass wir wachsen, ob wir nun wollen oder nicht. Wichtig finde ich dabei, das Wachsen als Prozess zu verstehen, bei dem jeder Schritt gleich wichtig ist, ja viel wichtiger, als das eigentliche Ziel, das es so nicht gibt.

    Ziele, die wir uns im Kopf setzen, helfen uns einfach als Orientierungshilfe, um unser Potenzial zu entfalten.

    Dank der Ziele, die ich mir stelle, weil mich ihre Vorstellung mit Freude erfüllt, genieße ich meine Gegenwart. Meines Erachtens sind wir Menschen eben anders veranlagt als die Tiere. Unser Bewusstsein hat uns die Natur gegeben. Das können wir leugnen und versuchen, so zu tun, als könnten wir in der Gegenwart aufgehen wie die Tiere, oder wir lernen, mit dem Bewusstsein umzugehen, es anzuwenden, um Schöpfungen und Entwicklungen hervorzubringen, die Tiere nun einmal nicht hervorbringen können.

    Das Eine (die große Bedeutung des Hier und Jetzt) schließt das Andere (die Bedeutung von Zielen/Visionen für das Glücksempfinden in der Gegegnwart) nicht aus. Sie gehen für mich Hand in Hand. Ich persönlich kann sehr selten nur im Hier und Jetzt sein, da meine Gedanken immer abschweifen. Also nutze ich diese Gedanken lieber für die Suche nach Möglichkeiten um ein „künstlich“ erstelltes (oder aus mir heraus natürlich empfundenes) Ziel zu erreichen, als dass sie sich unkontrolliert verselbständigen und mich so nur noch mehr von der kostbaren Gegenwart ablenken. Klingt das verständlich?

    2) Was ist für mich das Ego?

    Hm. Das Ego ist für mich mein „weltliches Ich“. Das Ich, von dem ich im Gehirn ein Bild habe und andere Menschen ein anderes. Das Ich, das man irgendwie beschreiben und bewerten kann.

    Im Gegensatz zu dem Teil in mir (und allen anderen Menschen), den ich als innere friedliche Präsenz und „Beobachter“ wahrnehme, wenn ich ganz still werde (also auch mal kurz nicht denke oder hinter meinen Gedanken spüre).

    3) Warum fordert es Wachstum?

    Für mich ist es eine natürliche Tatsache, dass das „Ego“ oder „Leben als Mensch“ Wachstum erfordert. Warum? Keine Ahnung. Warum ist das Gras grün und der Himmel (in Deutschland vielleicht nicht immer, haha) blau? Ich weiß es nicht. Es ist einfach so. Die Menschen, die das nicht wahrhaben möchten und sich weigern zu wachsen, können nicht glücklich sein. Vorsicht: Mit Wachstum meine ich nicht weltlichen Erfolg. Ich meine eine Weiterentwicklung der Persönlichkeit, die jeder für sich selbst aussuchen und finden kann.

    Was hältst du davon?

    Liebe Grüße an dich, Orkan!
    Elisa :)

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