Bist du unsterblich?

Es ist dunkel. So viele Menschen. Einige kenne ich.

Ein riesiges Gebäude. Vielleicht eine Schule? Wir haben Angst. Über der lichtlosen Stadt kreisen Bomber. Wie konnte es nur soweit kommen?

Ich suche nach einem Waschraum. Will mich bettfertig machen.

Plötzlich bricht Panik aus. Es seien Leute mit Gewehren in das Gebäude eingedrungen. Wir rennen die Treppen hoch. Kommen in einem riesigen Saal an und stehen zusammengepfercht in der Mitte. Unsere Männer scheinen selbst bewaffnet zu sein und schießen auf die Feinde.

Feinde? Niemand trägt Uniformen. Alle in Zivilkleidung. Woran erkennt man den Unterschied, fragen meine Gedanken angsterfüllt.

Ich sehe eine Wendeltreppe, die noch weiter hochführt und folge ihr. Oben komme ich in einer kleinen gemütlichen, in warmes Licht gehüllten Kammer voller Bücher, mit einem alten Globus und einer riesen Ledercouch an. Meine Schwester und meine Eltern stehen mit mir hier oben und wir halten unsere Hände.

Gott sei Dank sind wir zusammen. In diesen letzten Momenten. Ich wünsche mir, dass wir kurz und schmerzlos durch eine Explosion umkommen, bevor die bewaffnete Überfalltruppe hier oben einstürmt.

Das war es also.

Ich erinnere mich an all meine Erkenntnisse und frage mich, was sie mir jetzt nützen. Eine innere Stimme erinnert mich liebevoll daran, dass es jetzt nach Hause geht. Der Schrecken gleich ein Ende hat. Der Tod bringt mich zurück in den Weltgeist. Zu Gott, wenn man es so nennen möchte.

Wie kochendes Wasser, das als Dampf in die Atmosphäre zurückkehrt.

Ich öffne die Augen. Mein Herz rast. Fühle mich wie erschlagen. Betäubt.

Das Sonnenlicht scheint sanft durch die dunkelgrünen Vorhänge meines Schlafzimmers. Vogelgezwitscher. Rechts neben mir liegt meine Katze Ghost auf meinem Kopfkissen, wo ich anscheinend keinen Platz mehr fand. Links ist meine andere Kopfhälfte unter dem schweren Arm von Jaime eingeklemmt.

Ich bin zuhause. Es war nur ein Traum.

Bei Ghost statt bei Gott.

Muss erst einmal wieder zu mir kommen. Es fühlte sich so real an. Realer als das hier.

Bleibe noch eine Weile liegen und lasse die Bilder Revue passieren. So genaue Erinnerungen. Komisch.

Ich stehe auf, wasche mich, koche mir einen Tee und setze mich mit meinem Müsli raus auf die Terrasse. Blauer Himmel. Fröhlich über mir kreisende Schwalben. Die Berge. Kann kaum glauben, dass dies die Realität ist.

Frage mich, was in meinem Kopf vorgeht, dass mein Unterbewusstsein mit solchen Träumen meinen Geist ordnet, oder was auch immer Träume für eine Funktion haben.

Ich erinnere mich genau an das Gefühl, als ich dachte, ich sterbe jetzt unter einem Bombenhagel. Denke mir, irgendwann sterbe ich aber auf jeden Fall. Der Moment rückt immer näher.

Es ist, als sei mir heute noch etwas Zusatzzeit geschenkt worden.

Will sie nutzen, indem ich das Wesentliche – was mir im Moment der Sterbens als gut gelebt erscheinen wird – vom Unwesentlichen – was Erfindungen unserer Gesellschaft sind, die nur dem System dienen – trenne und mich von letzteren nicht davon abhalten lasse, ersteres zu sehen und zu genießen.

Wie sieht es mit dir aus? Bist du unsterblich? Nutzt du deine Zeit?

Sei es dir wert.

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