Beziehungsalltag – wo ist die Liebe?

„Jeden verdammten Tag muss ich seine scheiß Socken wegräumen. Wieso lernt er es nicht, sie nicht herumliegen zu lassen? Wir leben nun seit Jahren zusammen. Ich verstreue doch auch nicht meine dreckige Unterwäsche überall auf dem Boden.“

„Wahrscheinlich würde es ihn nicht stören, wenn du es tätest.“

„???“

„Warum muss er sich denn an deine Vorstellungen und Ansprüche anpassen?“

„Weil es respektlos den Mitmenschen gegenüber ist von ihnen zu verlangen, die eigenen Drecksachen wegzuräumen.“

„Aber er verlangt es ja nicht von dir. Du räumst sie weg, weil sie DICH stören. Du tust es für DICH.“

„Naja, so geht das aber nicht …“

Der Alltag kann der Liebe schon mal einen Strich durch die Rechnung machen. Das kennen wir wahrscheinlich alle. Und die meisten von uns, die noch nicht ganz abgestumpft sind, sind darüber wohl traurig. Doch es ist eben so.

Kann man nix machen.

Wirklich nicht? Oder sind wir nur zu faul?

Stell dir vor, du machst jetzt erst einmal all das, was du brauchst, um glücklich zu sein. Du brauchst eine saubere Wohnung, weil du dich darin wohlfühlst? Räum sie auf. Egal, ob da auch Sachen von deinen Liebsten liegen. Räume auch diese weg. Tu es für dich.

„Aber es kotzt mich an, wenn ich anderen ihr Zeug hinterherräume. Ich fühle mich ausgenutzt.“

Nein, diese Schiene läuft jetzt nicht mehr. Höre bitte genau deinen Gedanken zu und wenn dort Sätze wie dieser auftauchen, dann nimm sie bitte nicht mehr so ernst. Lass deine Gedanken labern, aber achte auf sie und hinterfrage sie.

Das ist erst einmal anstrengend, wenn du es nicht gewöhnt bist. Doch oft sind unsere Gedanken nicht viel intelligenter als Donald Trump. Und dem würdest du doch auch nicht alles glauben, was er so sagt, ohne es zu hinterfragen, oder?

Wenn du nun deine eigenen Bedürfnisse erfüllst, wirst du von deinen Mitmenschen nicht mehr erwarten, dass sie es tun. Du bist endlich frei von Erwartungen.

„Aber das ist doch doof, wenn nur ich nun diese Einstellung habe und die anderen stellen weiter ihre Erwartungen an mich. Wenn dann müssen wir schon alle mitmachen.“

Falsch. Ihr müsst überhaupt nichts. Wenn du beginnst, auf dich und deine Bedürfnisse zu achten, beinhaltet das auch, dass du deine Grenzen respektierst und nein sagst, wenn deine Mitmenschen Erwartungen an dich stellen, die dir nicht gut tun.

Du bist nur für dich verantwortlich. Die anderen sind für sich verantwortlich.

„Das klingt hart. Irgendwie egoistisch. Jeder kümmert sich nun selbst um seine eigene Scheiße. Mir doch egal, wie du dich fühlst. Ich bin nur für mich verantwortlich. Das soll Liebe sein?“

Ja, für uns klingt das noch sehr hart. Die Worte klingen hart. Erst, wenn du es selbst ausprobierst, wirst du feststellen, dass es alles andere als hart ist.

Denn sobald du deine Bedürfnisse besser kennenlernst, die Socken einfach wegräumst, anstatt deine Gedanken den ganzen Tag auf sie zu lenken, dringst zu anderen natürlichen Bedürfnissen vor.

Eines unserer größten Grundbedürfnisse ist es, uns nützlich zu fühlen. Wir sind glücklich, wenn wir anderen Menschen helfen können, gebraucht werden. Unter der Bedingung, dass dies freiwillig geschieht und wir dafür die Kraft und die Nerven haben und nicht, weil wir uns verpflichtet fühlen und Schuldgefühle vermeiden wollen.

Zunächst geht es darum, aus unseren gewohnten Verhaltensmustern auszubrechen, um aufzuwachen und uns wieder bewusst zu werden, wer wir sind und was wir wollen.

Ich bin Elisa. Ich will mit Jaime zusammenleben.

Warum will ich mit Jaime zusammenleben?

Hm. Gute Frage. Weil ich ihn liebe?

Falsch. Wir wollen ja weiß Gott nicht mit allen Menschen zusammenleben, die wir lieben. Die meisten davon würden uns wahrscheinlich wahnsinnig machen. Angefangen bei unseren Eltern über unsere Geschwister bis hin zu den besten Freunden (jetzt kriege ich wahrscheinlich von den meinigen eins auf den Deckel, haha).

Warum dann?

Weil ich mit ihm gut zurechtkomme. Wir uns gut ergänzen. Er meine schlechten Launen und kleinen Depriphasen mit seiner unerschütterlichen guten Laune ausgleicht und mich aus meinem Kopf ins Leben rausholt. Er das gleiche Bedürfnis nach Freiheit hat wie ich und wir uns keine Rechenschaft ablegen müssen, wenn wir spontan mit Freunden weggehen.

Wir zusammen über uns lachen können. Er meine empfindlichen Stellen kennt und manchmal eine von mir bis dahin nicht gekannte Wut in mir auslöst, die im Nachhinein eine große Erleichterung und Leichtigkeit in mein Inneres bringt. Den Auslöser haben wir am nächsten Tag oft schon vergessen.

Als ich neulich wieder einmal fast auf die Fresse flog, weil ich über seine mitten im Wohnzimmer verstreuten Schuhe stolperte und überall seine Sachen herumlagen, fragte ich mich, warum ich mir das antue. Ob es nicht besser wäre, alleine zu wohnen.

Also stellte ich mir vor, wie meine Wohnung perfekt aufgeräumt aussähe und keiner mehr ständig diese Ordnung kaputt macht. Als ich dies vor Augen hatte, lag ich in Gedanken auf der Couch inmitten dieser wunderbaren Ordnung … und wartete auf Jaime. Dass er endlich nach Hause käme. Doch er kam nicht.

Das traf mich wie ein Schlag. Es tat richtig weh, obwohl es nur eine Vorstellung war.

Ich stellte fest, was mir wichtiger war. Empfand ein so warmes und sanftes Glücksgefühl, dass dieser Mann später nach Hause kommen würde, um wieder seine Schuhe und den Rest überall zu verteilen, das keine Ordnung der Welt mir geben könnte.

Natürlich rege ich mich noch immer ab und zu auf. Aber nur für mich. Und oh Wunder. Seitdem ich nicht mehr von Jaime erwarte, seine Sachen wegzuräumen, hat sich auf natürliche Weise eine Art Kompromiss eingestellt. Es liegt nicht mehr so viel herum, wie früher und wir fühlen uns beide wohl in unserer Wohnung.

Vor allem aber fühle ich Liebe, in unserem Alltag.

Natürlich nicht jede Minute und jede Sekunde. Und auch keine himmelhoch jauchzende Liebesbrunst. Aber ein warmes Gefühl der Verbindung und Dankbarkeit. Jeden Tag. Immer mal.

Das kannst du auch. Wenn du beginnst, selbst auf deine Bedürfnisse zu achten und sie zu erfüllen. Wenn du deine Gedanken vom Partner weglenkst zu dir.

Wenn du wieder den Menschen erkennst, mit dem du freiwillig dein Leben teilst. Warum sollte der andere sich ändern, weil du mit ihm zusammenleben möchtest? Und du dich, weil er mit dir zusammenwohnen will?

Beginne bei dir und sei offen für eine neue Art Beziehungsalltag, wo Gefühle nicht von Socken verdrängt werden.

Sei es dir wert.

2 Kommentare, sei der nächste!

  1. Mein Partner und ich hatten auch schon wegen herumliegender Sachen Streit. Mittlerweile räumt er seinen Kram aber meistens weg, weil er weiß wie wichtig mir Ordnung in unserer Wohnung ist. Er macht es mir zuliebe. :) Zusammen in einer Wohnung zu wohnen geht mit Rücksicht und Entgegenkommen einher.

  2. Liebe Brivamü,

    da hast du natürlich auch recht. Rücksicht und Entgegenkommen sind das A und O für ein angenehmes Zusammenleben. Ich habe leider oft den Eindruck, dass das Entgegenkommen meist von den „unordentlicheren“ Menschen kommen muss, während ich merkte, dass ich meinem Freund auch entgegen kommen kann, indem ich erkenne, dass er ein Grundbedürfnis nach Entspanntheit und Lebendigkeit im Haushalt hat und ich mit meinem ständigen Ordnungszwang auch ihm das Leben vermieste. Am wichtigsten finde ich es, zusammen zu spüren, wie weit jeder einen Schritt auf den anderen zugehen kann und nicht „automatisch“ nach alten moralischen Mustern zu urteilen (wer Ordnung will hat automatisch recht und wer schlampig ist, muss automatisch an sich arbeiten).

    Beziehungen sind auf jeden Fall ein spannendes Übungsfeld, um sich selbst besser kennenzulernen und als Mensch zu wachsen. :)

    Danke für deinen Kommentar!
    Herzliche Grüße
    Elisa

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